Was ich als Kandidat bei der ZDF-„Küchenschlacht“ erlebte - Hamburger Abendblatt

2023-02-22 17:18:11 By : Ms. Rachel Ma

Blick ins Studio der ZDF-Kochshow „Küchenschlacht“: Ein Kandidat erzählt seine Erlebnisse (Archivbild).

Foto: Roland Magunia/Hamburger Abendblatt

Meine Mission: einmal ins Fernsehen und die ZDF-Kochshow auf den Kopf stellen. Ein Erlebnis zwischen Glücksrausch und Größenwahn.

Hamburg.  59, 58, 57. Die Zeit läuft ab. Ich husche zum Ofen, öffne die Tür, Flammen und Rauch lodern mir entgegen. Rechts von mir eine Kamera, links Johann Lafer, der auf mich einredet und das verbrannte Backpapier inmitten meiner Karotten begutachtet. Soll das bereits das Ende meiner Fernsehkarriere sein?

Zwei Monate vorher klicke ich mich mit müden Augen durch die Weiten des Internets – und lande in der ZDF-Mediathek. Ein rotes Logo mit Kochlöffel und Schneebesen flimmert mir auf dem Bildschirm entgegen – noch nie zuvor gesehen. Ich zappe durch eine Folge: Einer der fünf Hobby-Köche paniert sein Schnitzel, seine Mitstreiterin schabt nebenan Teig durch das Spätzlesieb – so was nennt sich „Küchenschlacht“?!

Das kann ich auch! Drei Klicks und vier Fragen später drücke ich auf „Bewerbung abschicken“. In Gedanken male ich mir aus, wie ich mit meinen Kreationen aus Wurzelgemüse und Grünzeug nicht nur die Sterneköche aus den Socken haue, sondern auch das übliche ZDF-Rentnerpublikum vor dem Bildschirm.

Drei Wochen später klingelt mein Handy: „Hallo Simon, hier ist Verena von der ‚Küchenschlacht‘. Unter Tausenden von Bewerbern sind junge, ambitionierte Männer vorm Kochtopf immer noch eine Seltenheit. Hast du am 4. und 5. Dezember Zeit?“

Ich zucke zusammen und ein Lächeln macht sich auf meinen Lippen breit. Damit hätte ich nicht gerechnet.

Ich fahre im ICE von Ingolstadt nach Hamburg. Meine Gedanken drehen sich im Looping: Zuerst der Pastateig. Dann die Pilze. Dann der Spinat. Und erst dann die Salbeibutter.

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Es ist kurz vor Mitternacht. Mit zitternden Händen drücke ich meine Chipkarte gegen das Lesegerät meines Hotelzimmers. Ich taumle direkt ins Bett – einschlafen kann ich aber erst zwei Stunden später.

6.30 Uhr. Der Chauffeur wartet bereits vor dem Hotel und bringt meine Mitstreiter und mich zum Fernsehstudio in Hamburg-Altona. An meiner Seite kauert die schüchterne Derya (39), der Pfälzer Daniel (39) und die Frührentnerin Sylvia (59). Im Gepäck ist meine geliebte Kochpinzette für die Garnitur meiner Gerichte.

Ich zücke mein Handy. Schon zehn Uhr? Meine Stimmung pendelt zwischen grenzenloser Euphorie und Müdigkeit. Ich schreite als aufpolierte Puppe von der Maske durch einen engen Flur des Fernsehmacher-Studio. Ist er das …? Ja … das muss er sein.

Johann Lafer (65), Fernsehkochguru und heutiger Moderator, steht vor mir in weißer Kochjacke, den dichten Schnauzer frisch rasiert. „Guten Morgen zusammen!“ Er nippt etwas geistesabwesend an seinem Espresso. „Vorletztes Jahr hat auch ein Simon aus Eichstätt gewonnen“, murmelt er in meine Richtung. „Ich weiß – der hat sogar in meiner Heimatstadt Heidenheim studiert.“ Lafer schmunzelt: „Wenn das mal kein gutes Omen ist!“ Ich grinse.

Zwei Meter weiter lehnt Verena, meine Redakteurin, am Türrahmen: „Es geht los, ab in die Show!“ Wir schlendern hinter Verena durch das Labyrinth des Fernsehstudios, vorbei an Redaktionsräumen, Abstellkammern und Essenständen mit Kaffee und Kuchen. Es kribbelt in meinen Fingern – ich kann es kaum erwarten. Ich beschleunige meine Schritte, überhole Verena und begebe mich alleine auf die Suche zum Studio. „Halt Simon, ihr werdet jetzt verkabelt.“ Der Tontechniker friemelt Derya das Ansteckmikrofon durch den Ausschnitt, meine Augen lugen Richtung Fernsehstudio.

„Auch heute haben wir wieder fünf tolle Kandidaten. Er ist 21 Jahre und alt und studiert Journalistik in Eichstätt, begrüßt mit mir: Simon Weber.“ Ich drücke die Pendeltüren zur Seite. Applaus ertönt. Lafer grinst mich aus der Entfernung an. Mit schiefem Lächeln winke ich in eine Kamera und wandere zu meiner Kochinsel. Ich bin hellwach – und realisiere: Ich habe es ins Fernsehen geschafft!

Seit 15 Jahren treten hier fünf bis sechs Hobbyköche in 35 Minuten Kochzeit gegeneinander an. Am Ende entscheidet ein unabhängiger Juror, welches Gericht am wenigsten überzeugt. Dessen Koch darf in der nächsten Runde nicht mehr dabei sein.

Ich mustere den Drehort: Backsteinwände und Efeu tauchen das Studio in eine bürgerliche Parallelwelt. Neben meiner stehen noch vier weitere Kochinseln, voll bepackt mit Töpfen, Schalen und Pfannen. Mikrofone hängen wie Angeln von der Seite herab. Dutzende Scheinwerfer am Studiohimmel erhellen den schummrigen Raum – und schüchtern mich ein. Noch mehr aber die drei Kameras, die mich umzingeln und keine Sekunde aus den Augen verlieren.

„An die Töpfe, fertig, los!“. Die Show beginnt und mit ihr der Wettlauf gegen die Zeit. Sofort versinke ich im Tunnelblick. Ich schnappe mir meine Schüssel mit Hartweizengrieß, streue etwas Salz darüber und schütte den Karottensaft dazu. Ein Lächeln huscht über mein Lippen. Auf dieses Abenteuer hatte ich mich schon lange gefreut: Ich stelle seit Jahren zu Hause die Küche auf den Kopf, habe sechs Monate Currys für 500 Menschen in einem Yoga-Zentrum gekocht und im Sternerestaurant in Berlin gelernt, warum ich unbedingt eine Kochpinzette an der Schürze tragen sollte.

In den vergangenen Wochen mutierte ich vom Studenten zum Vollzeitkoch: Statt meine Nase in der Unibibliothek in Fachliteratur zu stecken, habe ich Nächte in meiner WG-Küche verbracht und untersucht, ob Karottensaft oder Kurkumawurzeln einen schöneren Orangeton in meinen Teig zaubern.

Viel hängen geblieben scheint aber nicht zu sein: Der Pastateig vor mir gleicht eher einem Kartoffelbrei. Die roten Ziffern an der Wand verraten mir, dass von den 35 Minuten nur noch 26 übrig sind – das hatte ich mir anders vorgestellt! Hektisch kippe ich Mehl in die Schüssel, auf den Herd und über meine Schürze.

Und ausgerechnet jetzt steht Lafer neben mir und will wissen, was ich koche. „Es gibt selbst gemachte Fagottini mit einer Spinat-Pilz-Füllung und einer Pinienkern-Salbei-Butter“, antworte ich stolz und mit extra ruhiger Stimme – als würde ich nicht gerade heimlich Mehlhäufchen auf den Boden schieben.

An der Wand erhasche ich den Countdown: 19 Minuten und 53 Sekunden. Mein Blick wandert in die Zuschauermenge. Etwa 25 Augenpaare starren mich an, darunter mein Zwillingsbruder und meine zwei Jahre ältere Schwester. Ihre nervöse Miene gibt mir zu verstehen: Ich muss mich ranhalten!

Den orangenen Pastateig schmeiße ich mit halb bedeckter Frischhaltefolie in den Kühlschrank hinter mir. Nun blicke ich rüber zu Daniel: Mit Schweißperlen auf der Stirn füttert er die Hähnchenbrust mit Schinken und Käse. Sorgenfalten bekleiden seine Stirn, die auf meiner lösen sich etwas: Ich mach das hier nicht alleine durch.

Es zischt und dampft. Meine Kochinsel quillt vor lauter Löffeln, Schalen und Mehlbergen über. „Meine Damen und Herren, die letzte Minute läuft!“– sein Ernst? Pfeffer an die Pilze, Pasta aus dem Wasser. Ab in die Pfanne. Kurz in der Salbeibutter schwenken, dann auf den Teller. Noch zehn Sekunden. Ich werfe ein paar Pilze über die Pasta und schmücke sie mit einem Salbeiblatt. Fertig ist das Gericht – und ich mit meinen Nerven.

Ich atme einmal tief durch und gucke in die Runde. Manuel schreit mit seinem Blick das Cordon bleu in der Pfanne an – in der Hoffnung, dass es endlich goldbraun wird. Zwei Meter weiter stolpert Derya Richtung Ofen. Wie ein Storch tigere ich mit langsamen Schritten zum runden Tisch, der mitten im Studio steht. Behutsam stelle ich meinen Teller vor meiner Rezeptkarte ab.

„Begrüßt mit mir, den Juror Tarek Rose!“ Applaus ertönt. Der 52-jährige Koch mit Dreitagebart und Hornbrille lässt sich mit strahlend weißem Lächeln am Tisch nieder. „Das sieht ja schon mal lecker aus.“ Hochspannung liegt in der Luft. Er dreht mehrmals den runden Tisch und mustert die Teller. Deryas Gulasch findet er „sehr harmonisch“, an Daniels Cordon bleu beanstandet er, dass es noch nicht ganz durch ist, und Sylvias Reis schmeckt ihm „noch zu roh“.

Dann ist mein Teller an der Reihe. Meine Herz schlägt wie verrückt. „Oooh, das hätte man auch auf Instagram hochladen können“, sagt Tarek. Ein leichtes Lächeln huscht über meine Mundwinkel. „Der Teller überzeugt mich geschmacklich am meisten.“ Die Spannung in meiner geballten Faust löst sich wie auf Knopfdruck – ich strahle wie ein Honigkuchenpferd. Neben uns überreicht Tarek der geknickten Sylvia eine handsignierte Kochschürze, Lafer verabschiedet sie mit einer Umarmung aus der Show. Drehpause.

Mit fettem Grinsen stolziere ich auf dem rotem Teppich die Treppe runter Richtung Foyer. Meine Geschwister erwarten mich bereits mit offenen Armen. „Glückwunsch!“ „Easy“, entgegne ich nur frech. „In der nächsten Runde kocht einer ’ne Bananensuppe, die er noch nie zubereitet hat … die schlag ich locker!“ Ich habe mir Mut und Überheblichkeit angekocht.

13.45 Uhr. „Haben alle ein anderes Outfit an?“, tönt es durch den Aufenthaltsraum. Ich verschlinge eine Mandarine, binde mir die Schürze um, ein Pinsel streift über meine Wangen, dann stapfen wir wieder in Richtung Fernsehstudio.

Runde zwei beginnt: Vorspeisen stehen auf dem Plan. Alles läuft wie geschmiert. Während ich einen Brotlaib in Würfel schneide, steht Lafer neben mir. Er schaufelt sich etwas von meinem gerade zubereiteten Hummus auf seinen Löffel: „Der ist wirklich lecker.“

Jegliche Restanspannung blättert von mir ab. Ich fühle mich wie zu Hause. Noch acht Minuten und vier Sekunden. „Simon, warum ernährst du dich vegan?“ Ich lege mein Brotmesser ab, drehe mich zu ihm und quassele wie ein Wasserfall vor mich hin. Kochen? Nebensache!

„Noch eine Minute“, vernehme ich aus der Entfernung. Ich husche zu meinem Ofen und öffne die Tür: Rauch und heißer Dampf kommt mir entgegen. Ich schiele durch die beschlagenen Brillengläser auf das Blech: brennendes Backpapier und mittendrin – meine Karotten.

Zwei Frauen vom „Küchenschlacht“-Team stürmen mit Löschdecke in die Show. Lafer eilt zu mir. Ich trage das Blech samt Flammen zu meiner Kochinsel, überprüfe meine Rübchen auf Ruß und rufe: „Oh geil, noch ein bisschen Raucharoma!“

Das Publikum lacht – mein starrer Blick aber klebt am Teller vor mir. Ein Klecks Hummus plumpst auf die Keramik, zwei Karotten setze ich rechts daneben, links die Orangenfilets. Mit meiner Pinzette kröne ich die Karotte mit einer Dillspitze. „Die Zeit ist um – Hände weg.“ Ich atme einmal tief durch.

Hmmm, in der nächsten Runde brauche ich für den Nudelteig etwas weniger Karottensaft … und deutlich mehr – tosender Applaus beendet schlagartig mein Tagträumen. Die Schweizer Fernsehköchin Meta Hildebrand schwebt in das Studio und nimmt auf dem Jurorenstuhl Platz.

Die Teller fahren Karussell. Nach und nach verkostet sie die Kreationen, schickt Gericht für Gericht eine Runde weiter. Das Problem: Keines davon ist von mir – nur noch ein Teller kommt weiter. Unruhe in mir macht sich breit, mein linkes Bein wippt. Es herrscht Totenstille – nur mein Herz pocht wie verrückt.

„Puh, das ist wirklich keine einfache Entscheidung.“ Sie dreht den Tisch nach rechts in Richtung meines Tellers – ja, ja, ja, sag es! „Obwohl es wie vegane Sterneküche aussieht und auch so schmeckt …“, fährt sie fort. Sie dreht wieder nach links: „… muss ich mich für die Bananensuppe entscheiden.“

Mein Herz bleibt stehen. Meine Mundwinkel wandern nach unten. Ich schlucke einmal und starre zu meinem Bruder, er zu mir – das hat sie gerade nicht wirklich gesagt, oder?

Autor Simon Weber studiert Journalistik an der Universität Eichstätt.

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