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Das Magnetfeld der Erde spüren zu können, bietet Lebewesen offenbar Vorteile. Zuletzt entdeckten Forscher das Talent sogar bei Tieren, denen sie das gar nicht zugetraut hätten.
Als das Erdmagnetfeld vor mehr als drei Milliarden Jahren erstarkte, waren sie sicher die ersten Lebewesen, die sich daran orientieren konnten: magnetsensible Bakterien. Als Sinnesorgan dienen ihnen Magnetosomen. Das sind komplexe, aus magnetischen Mineralen zusammengesetzte Partikel. Sie reagieren wie Kompassnadeln und helfen den Bakterien dabei, oben und unten zu unterscheiden. Heute finden sich magnetotaktische Keime häufig im Schlamm von Gewässern. Die sauerstoffscheuen Bakterien suchen den Weg nach unten, ins O2-arme Milieu der Sedimente. Unklar bleibt, wozu die frühen Bakterien den Magnetsinn eigentlich brauchten, da doch die Urozeane fast sauerstofffrei waren.
In den Antennen der brasilianischen Ameise Pachycondyla marginata fanden Forscher um Jandira Ferreira de Olivera von der Technischen Universität München Magnetitkristalle (Fe3O4). Die magnetischen Partikel befinden sich in der Nähe des Organs, mit dem Insekten Luftbewegungen wahrnehmen können. Ihre Antennen dienen Ameisen als wahres Multifunktionssinnesorgan. Sie benutzen sie auch zum Tasten, Riechen und Schmecken – und können mit Hilfe der integrierten Steinchen wohl die Nord-Süd-Achse des Erdmagnetfelds erkennen.
Diese Schmetterlinge legen jedes Jahr Tausende von Kilometern zurück: Im Herbst fliegen sie vom Norden Amerikas in eine warme mexikanische Hügellandschaft, um zu überwintern. Im Frühjahr geht es wieder zurück. Um rechtzeitig anzukommen, orientieren sich die Vielflieger am Sonnenstand. Doch auch wenn es bewölkt ist, finden die Falter den richtigen Weg. Denn mit den Magnetsensoren in ihren Antennen können sie den Neigungswinkel der Erdmagnetfeldlinien messen – und somit bestimmen, wo auf dem Globus sie sich gerade befinden. Steven Reppert und seine Kollegen von der University of Massachusetts ahmten das Erdmagnetfeld in einem Simulator nach. Darin flog der Monarchfalter naturgemäß nach Süden. Gaukelten die Forscher den Tieren einen Tausch der Himmelsrichtungen vor, flogen sie prompt in die Gegenrichtung. Um richtig navigieren zu können, brauchen die Falter allerdings Licht. Wenn die Forscher die Fühler der Schmetterlinge abdeckten, irrten sie ziellos im Kreis. Nachtflüge sind für sie also ausgeschlossen.
Im Volksmund sind Küchenschaben als Ekel erregend, gefräßig und hartnäckig bekannt. In Sachen Magnetismus sind die kleinen Tierchen allerdings erstaunlich sensibel: Dank eines speziellen lichtempfindlichen Molekülkomplexes in ihren Augen können sie nicht nur die Gegenwart eines Magnetfelds, sondern auch seine Ausrichtung bestimmen. Wie eine Wissenschaftlergruppe um Olga Bazalova von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften zeigte, hilft ein Molekül aus der Substanzklasse der Cryptochrome (Cryptochrom 2) den Schaben dabei, die Richtung der magnetischen Feldlinien zu erkennen. Dazu sind sie jedoch auf genügend Licht mit hinreichend Energie angewiesen. Nur wenn das Cryptochrom sich in einem angeregten Zustand befindet, haben Magnetfelder Auswirkungen auf das Verhalten der Schaben, und zwar abhängig von der Ausrichtung der Feldlinien: In einem die Richtung wechselnden Magnetfeld zeigen die Tiere eine Tendenz, sich mit den Kraftlinien mitzudrehen.
Wandernde Fischarten wie Aale und Lachse orientieren sich an Magnetfeldern, um im Meer auf Kurs zu bleiben. Doch auch Karpfen, die in Binnengewässern »sesshaft« sind, haben offenbar einen Sinn für Magnetismus. Das entdeckten Forscher auf tschechischen Weihnachtsmärkten. Dort werden die Fische in runden Bottichen lebend zum Verkauf angeboten. Ein Team um den Zoologen Hynek Burda von der Universität Duisburg-Essen stellte fest, dass die Speisefische in ihren Behältern eine nordsüdliche Orientierung bevorzugen. Da sie keine andere Ursache für diese Tendenz entdecken konnten, vermuten die Forscher, dass sich die Tiere nach dem Erdmagnetfeld ausrichten. Die Forscher spekulieren, dass der Magnetsinn dabei hilft, sich in Gruppen synchron zu bewegen.
Ihr Magnetsinn ist nur ein Teil der beeindruckenden Orientierungsfähigkeit von Zugvögeln oder Brieftauben, die über Tausende von Kilometern zurück ins Brutgebiet beziehungsweise den heimischen Taubenschlag finden. Ihren Kompass haben auch sie im Auge: Das Protein Cryptochrom 1a wandelt die Informationen aus dem Magnetfeld der Erde in Signale um, die der Vogel auf seinem Flug nutzen kann. Der Frankfurter Biophysiker Ilia Solov'yov stellte fest, dass die Vögel negativ geladene Sauerstoffmoleküle im Auge haben. Wenn das Hyperoxid – eigentlich ein Zellgift – mit dem Cryptochrom reagiert, werden Elektronen mit frei beeinflussbaren Spins frei. Diese werden vom Erdmagnetfeld ausgerichtet und fungieren somit als winzige Kompasse. Wechselt ein Vogel die Flugrichtung, so verändert sich der Einfluss des Erdmagnetfelds auf die Elektronen – und damit die Sinneswahrnehmung des Tieres: Es erkennt, wie es sich relativ zur Nord-Süd-Achse des Magnetfeldes bewegt. Laut den Forschern darf das Hyperoxid aber nur in geringen Mengen vorkommen, damit der biochemische Kompass effektiv arbeitet. Um eine Überdosis zu vermeiden, neutralisieren die Tauben das Gift mit Hilfe von Antioxidanzien.
Im Herbst, wenn das Futter knapp wird und der Frost in die Dachböden zieht, wird es für Fledermäuse Zeit, sich einen geschützten Platz für den Winterschlaf zu suchen. Bis zu 1600 Kilometer fliegen sie auf ihrer Suche nach einem Winterquartier. Doch wie finden die pelzigen Tierchen dorthin? Sie können nicht gut sehen, und ihr Ultraschallsinn eignet sich nur für die Nahortung. Doch die Glattnasen haben offenbar einen inneren Kompass, mit dem sie sich am Erdmagnetfeld orientieren. Zu diesem Ergebnis kamen Forscher, als sie Fledermäuse unterschiedlich ausgerichteten Magnetfeldern aussetzten und beobachteten, in welche Richtungen die Tiere flogen: Wie Eisenspäne konnten sie die Säugetiere mit dem Magneten steuern. Eine Forschergruppe um Stuart Parsons von der University of Auckland fand außerdem heraus, dass Fledermäuse die Polarität eines Magnetfelds und nicht – oder jedenfalls nicht nur – die Neigung der Magnetfeldlinien relativ zur Erdoberfläche wahrnehmen, wie es Vögel, Krebse und manche Säuger tun. Mit ihrem Polaritätskompass und einer mentalen Landkarte der Erdmagnetfeldstärken können Fledermäuse vermutlich ihre geografische Lage relativ genau ermitteln.
Auch den Fuchs hat sich das Team um Hynek Burda vorgenommen. Laut seiner Untersuchung sollen Füchse die Erdmagnetfeldlinien nutzen, um ihren Abstand zu Beutetieren abzuschätzen. Ihr Magnetsinn, mit dem sie den örtlichen Winkel der Magnetfeldlinien zum Erdboden zu erkennen scheinen, helfe den Tieren möglicherweise dabei, sich vor dem finalen Angriffssprung in die immer gleiche Position zu manövrieren. Denn der Jagderfolg von Füchsen steht und fällt mit ihrem Anflugskurs – zu diesem Schluss kamen die Forscher anhand von Felddaten, die sie über zweieinhalb Jahre beim Beobachten von Rotfüchsen gesammelt hatten. Die penible Auswertung ihrer Daten zeigte, dass Füchse nicht nur bevorzugt in Nordostrichtung abspringen, sondern dann auch signifikant häufiger eine angesprungene Beute überwältigen. Wenn die Hypothesen der Forscher zutreffen, wäre der Fuchs das erste Tier, das Magnetfelder nicht zur Richtungs-, sondern zur Entfernungsmessung nutzt.
Rinder haben einen Magnetsinn, glauben Forscher: Sofern die Tiere nicht unter Hochspannungsleitungen grasen, richten sie sich bevorzugt entlang einer Nord-Süd-Achse aus. Ein Team um den bereits erwähnten Hynek Burda von der Universität Duisburg-Essen wertete Satellitenbilder von Google Earth aus, auf denen Viehherden zu erkennen sind. Nach Analyse von mehreren hundert Herden in ganz Europa stellen die Wissenschaftler fest: Auf leitungslosen Wiesen scheinen sich die Wiederkäuer in Nord-Süd-Richtung auszurichten, während ihre Körperachsen in der Nähe von Hochspannungsleitungen zufällig verteilt waren. Erklärbar wird dieser Verhaltensunterschied nur dann, wenn man annimmt, dass sich die Rinder am Erdmagnetfeld orientieren. Denn die Stromleitungen erzeugen ein Magnetfeld, das das natürliche Feld der Erde überlagert und dadurch die Rinder in die Irre führt. Wie die Tiere die Felder wahrnehmen und wozu ihnen das nützt, ist bisher nicht bekannt. Man weiß lediglich, dass sie kein Cryptochrom im Auge haben.
Nicht nur bei Zugvögeln und Küchenschaben, auch bei vielen Säugetieren stecken sie im Auge: Cryptochrome. Forscher um Christine Nießner vom MPI für Hirnforschung entdeckten die Version Cryptochrom 1 bei Raubtieren wie Hunden, Wölfen, Bären, Füchsen und Dachsen und sogar beim Orang-Utan. Menschliche Netzhäute wurden in dieser Studie nicht untersucht, doch es ist bekannt, dass auch wir in jenen Zapfen, die für den blauen und den UV-Bereich zuständig sind, Cryptochrome haben. Die Säugetiervariante ist der aus dem Vogelauge sehr ähnlich und mit dem Blaulichtrezeptor der Kakerlaken verwandt. Ob alle mit dem Pigment ausgestatteten Tiere – also vielleicht sogar Menschen – über einen Magnetsinn verfügen, ist jedoch unklar. Laut Wissenschaftlern aus Japan und den USA reagiert unser Gehirn auf Magnetfelder. In einer kürzlich veröffentlichten Studie setzten sie Menschen schwachen Magnetfeldern aus und zeichneten deren Hirnströme auf. Und tatsächlich: Das Gehirn reagierte anscheinend auf bestimmte magnetische Veränderungen – sofern das angelegte Magnetfeld dem der Erde ähnelte. Die Versuchspersonen bemerkten selbst nichts von dieser Reaktion – wir können uns also wohl nicht bewusst magnetisch orientieren. Vielleicht war die Fähigkeit, Magnetfelder wahrzunehmen, im Lauf der Evolution des Menschen von Bedeutung – und ist uns inzwischen abhandengekommen.
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