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2023-02-22 17:16:15 By : Mr. Lee Wang

Sylvia Näger bespricht für Sie Bücher, Spiele und audio-visuelle Medien, die Sie in Ihrer sprachlichen Bildungsarbeit, Sprachförderung und Literacyerziehung unterstützen. Die monatlich erscheinenden Rezensionen bieten Ihnen eine fundierte Besprechung der ausgewählten Titel und zeigen den Bezug zur sprachlichen und literarischen Bildung auf.

Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

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Die Sonne steht schon tief, der kleine und der große Igel sind auf dem Weg nach Hause. Eigentlich… aber wie das so ist, haben auch kleine Tiere selten das Bedürfnis, schnell im Bett zu sein. Und so beginnt das große Spiel, dies und das zu entdecken, zu betrachten und die Zeit verstreichen zu lassen.

Erst mal möchte der kleine Igel den rotglühenden Sonnenuntergang genießen. Seite an Seite sitzt er mit dem Großen im Gras und sie schauen, wie der Feuerball am Horizont verschwindet. Ein kleines Stück kommen die Zwei voran, dann muss der große Igel wieder warten. Diesmal auf den aufgehenden Mond. Plötzlich hört der kleine Igel die Eulen rufen, er will an ihrem Schlafbaum vorbeischauen und ihnen zuwinken. Und obwohl es immer später wird, gibt es noch die Frösche am Teich oder die magisch leuchtenden Glühwürmchen, die besucht und bestaunt werden wollen. Und ganz selbstverständlich müssen natürlich auch noch alle Sterne gezählt werden, auch wenn der Kleine bereits gähnt und ihm keine Zahl mehr einfällt.

Es sind die kleinen Dinge der Natur, die das Igelchen faszinieren und für die der große Igel dann doch Zeit aufbringt und mittrödelt – äußerst geduldig und so lange, bis das Kind in seinen Armen einschläft. Aber da sind Igels bereits bei ihrem Haus angekommen. Die kindlichen Bedürfnisse nach Entschleunigung und Hinauszögern des Einschlafens inszeniert Britta Teckentrup  stimmig und liebevoll. Dabei veranschaulicht sie  realistisch das sehr unterschiedliche Zeitempfinden von Kindern und Erwachsenen. “Warte doch mal“ ist eine wunderbare Geschichte über die Ausübung heilsamer Langsamkeit in unserer schnelllebigen und hektischen Zeit. In einer Zeit, in der Zeit immer kostbarer wird, Kinder aber immer noch das  Schneckentempo und die Geduld und Einfühlung der Erwachsenen benötigen, um die Welt entdecken und in ihr aufwachsen zu können. Zudem gelingt es der Illustratorin immer wieder, die Schönheit der Natur in der ihr eigenen Bildsprache ins Bilderbuch zu holen. Ihre Bilder leben von Schattenrissen und Lichteffekten, ihre intensiven Farbgebungen brillieren in nuancenreichen Schattierungen. Emotional, sprachlich und ästhetisch bestens versorgt, ist es für Kinder eine große Freude, ihre eigenen Bedürfnisse in diesem Bilderbuch wiederzufinden.

▪ Zeitempfinden ist subjektiv und hat viel mit dem Standpunkt des Betrachters zu tun  Zeit ist kostbar, Zeit muss eingeteilt werden. Diese Situation verfolgt Erwachsene und somit sind Kinder unmittelbar mit dem Diktat der Zeit verbunden. Nur empfinden Kinder Zeit völlig anders als Erwachsene. Ihr Verständnis für ausdifferenzierte Zeiteinteilungen, wie sie Erwachsene gebrauchen, ist noch nicht entwickelt, sie reflektieren wenig oder anders über die Zeit und leben den Tag in oft beneidenswerter Zeitlosigkeit. Auch der kleine Igel ist ein Kind, das sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Er genießt seine Entdeckungen und Verzögerungstaktiken, wenn der große Igel immer wieder mahnt: „Komm wir gehen jetzt schnell nach Hause!“ Unsere beschleunigte Gesellschaft bringt eine Reihe von Konsequenzen mit sich, die für Kinder  nicht unproblematisch sind. Eine davon hat mit dem Umstand zu tun, dass Kinder, anstatt zu lernen, wie sie ihr Bewusstsein selbst stimulieren und ihr Verhalten selbst organisieren können, schnell vom Wettlauf ihrer Eltern mit der Zeit aufgerieben werden. Wer aber hetzt oder sich langeweilt, erlebt das Resultat aus dem Missverhältnis von äußeren Zeitabläufen, die wir objektiv messen können, und innerem Zeiterleben. Sobald aber der äußere Ablauf mit dem inneren Zeitenrhythmus einigermaßen übereinstimmt, erleben wir Ruhe oder wohltuende Entspannung – das; was wir mit dem Gefühl der „Behaglichkeit“ umschreiben können.

▪ Reihengeschichten und szenisches Spiel unterstützen Kinder beim Erfassen und Erzählen der Geschichtenstruktur - Die Geschichte erzählt die Entdeckungen des kleinen Igels auf dem abendlichen Nachhauseweg und sein Bemühen, das abendliche Schlafengehen zu verzögern. Dieser eng gefasste Zeitausschnitt ist für Kinder überschaubar, die Thematik ist für sie gut nachvollziehbar, da sie selbst mit derartigen Abläufen und Verhaltensformen bestens vertraut sind. Der auf das Wesentliche reduzierte Text bietet ritualisierte Dialoge, eine übersichtliche Reihung von Ereignissen und eignet sich somit auch für Kinder mit Deutsch im Zweitspracherwerb. Die Aufreihung der Geschehnisse unterstützt Kinder, die Geschichte in ihrer Abfolge nachzuerzählen und szenisch zu spielen: Der kleine und der große Igel gehen nach Hause und treffen dabei auf Sonne, Mond, Feldblumen, Eulen, Wolke, Fische und Frösche, Glühwürmchen und Sterne. Diese Stationen der Geschichte und den kleinen und großen Igel zeichnen die Kinder und suchen sich ihre Rollen aus. Dann braucht es eine erwachsene Erzählerin. Die liest oder erzählt die Geschichte, die zeitgleich von den Kindern gespielt wird. Das szenische Spielen ermöglicht Kindern Textverständnis und ein Gefühl und Wissen zur Struktur von Geschichten zu entwickeln. - Die Aufforderungen, die der große Igel nach jeder Episode äußert, sind in variantenreichen Satzstellungen formuliert. „Jetzt müssen wir aber weitergehen. Es ist schon spät, kleiner Igel.“ „Es ist wirklich schon spät, kleiner Igel. Lass uns weitergehen.“ „So, jetzt aber!“ „Komm wir müssen weiter, kleiner Igel, es wird immer später.“ „Jetzt ist es aber wirklich spät, kleiner Igel. Komm wir beeilen uns.“ „Komm wir gehen jetzt schnell nach Hause!“ „Jetzt müssen wir aber wirklich los.“ „Lass uns weitergehen, kleiner Igel. Wir sind schon fast da.“ Um diese Vielfalt zu erhalten, sollte die Rolle des großen Igels von einem Erwachsenen übernommen werden. ▪ „Der Engel der Langsamkeit“     Gedicht von Jutta Richter für kleine Igel und andere vertrödelte Kinder Zum Vorlesen, zum Verschenken in einer schönen Schachtel, zum gerahmt an die Wand hängen… “Aus einem stillen großen See” © 2003 Carl Hanser Verlag, München-Wien Der Engel der Langsamkeit Ein Engel hat immer für dich Zeit, das ist der Engel der Langsamkeit. Der Hüter der Hühner, Beschützer der Schnecken, hilft beim Verstehen und beim Entdecken, schenkt die Geduld, die Achtsamkeit, das Wartenkönnen, das Lang und das Breit. Er streichelt die Katzen, bis sie schnurren, reiht die Perlen zu Ketten, ohne zu murren. Und wenn die Leute über dich lachen und sagen das musst du schneller machen, dann lächelt der Engel der Langsamkeit und flüstert leise: lass dir Zeit! Die Schnellen kommen nicht schneller ans Ziel. Lass den doch rennen, der Rennen will! Ein Engel hat immer für dich Zeit, das ist der Engel der Langsamkeit. Der Hüter … Er sitzt in den Ästen von uralten Bäumen, lehrt uns den Wolken nachzuträumen, erzählt vom Anbeginn der Zeit von Sommer, von Winter, von Ewigkeit. Und sind wir müde und atemlos, nimmt er unseren Kopf in seinen Schoß. Er wiegt uns, er redet von Muscheln und Sand, von Meeren, von Möwen und Land. Ein Engel hat immer für dich Zeit, das ist der Engel der Langsamkeit. Der Hüter …

Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Britta Teckentrup Warte doch mal! Der große und der kleine Igel. Berlin: Jacoby & Stuart 2022,  32 Seiten | € 14,00 | ab 3

Kaninchen ist den ganzen Tag draußen. Es abenteuert, erforscht das Feld  und folgt entdeckungsfreudig einer Hummel, die in den Wald fliegt. Dabei gerät es immer tiefer ins Dickicht, wird von der Dunkelheit überrascht und beginnt, vor Verzweiflung zu weinen.

Plötzlich aber entdeckt es, in einer Kuhle mitten im Dunkel des Waldes, ein gleißendhelles, äußerst geheimnisvolles Licht. Federleicht fühlt es sich an, knistert und lässt sich sogar zu einer Kugel formen. Von so viel Helligkeit und Wärme ermutigt, rappelt sich das Kaninchen auf, und läuft mit der Lichtkugel in den Händen weiter.

Unterwegs trifft es auf Tiere, die nicht ungefährlich für ein Kaninchen sind. Trotz seiner Ängste und Befürchtungen gibt es allen ein  Stück seiner Lichtkugel ab. Es teilt mit dem Maulwurf, damit der bei Licht lesen kann. Der Mäusebussard will seiner Freundin heimleuchten und der Fuchs sein dunkelängstiges Kind beruhigen. Als Kaninchen einem Feldhasen begegnet, leuchtet das Licht nur noch schwach. Trotzdem bietet es dem Alten an, mit ihm zu teilen. Der kleine Held, der alle Gefahren mutig gemeistert und seine Ängste überwunden hat, schläft schließlich beruhigt ein. Und wie er morgens aus dem Wald hinausläuft und ein neuer schöner Tag beginnt, erkennt er, dass die Nacht auch schön ist – schön anders. Eine atmosphärisch sehr intensive Geschichte, die magisch und spannend erzählt, dass man auch in herausfordernden Situationen an sich glauben, mutig sein und seine Ängste überwinden kann. Raphaël Kolly arbeitet mit Bleistift; das ermöglicht ihm, bestens mit Licht und Schatten zu arbeiten. Seine Bleistiftzeichnungen koloriert er digital. Die magischen Bilder muten wie ein Märchen an, das finster samtene Schwarz der Nacht schafft kontrastreiche Bildwirkungen. 

▪ Die Bedeutung von Licht als Symbol und Metapher Licht ist Voraussetzung für Leben und Wärme, es ist für uns Menschen so selbstverständlich wie die Sonne selbst. Licht fasziniert, prägt die geschichtliche und kulturelle Entwicklung der Menschheit und hat eine hohe Symbolkraft. Diese, so sagt der Literaturwissenschaftler Heiko Wandhoff, hat auch mit seiner Deutung als „Götterfunke“ zu tun: In den meisten Religionen markiert die Unterscheidung von dunkel und hell die Entstehung der Welt. In allen Kulturen, bei allen Völkern, in allen Religionen begegnen wir dem Licht. Es ist die Quelle des Lebens. Licht bedeutet Orientierung, Wärme und Leben. Der Gegensatz zum Licht ist Dunkelheit. Sie bedeutet Orientierungslosigkeit, Bedrohung, Tod. Licht steht für Gott und Gottes Wort, Vollkommenheit, Heiligkeit, Weisheit, Rettung und Heil, Klugheit und Verstand. Im Christentum ist die Lichtsymbolik von grundlegender Bedeutung: Jesus selbst beschreibt sich als "Licht der Welt", das Leben schenkt und seine Jünger auffordert, selbst Licht in der Welt zu sein. Liturgie und Brauchtum des Kirchenjahres durchzieht die Lichtsymbolik: vom Adventskranz, dem wachsenden Licht, zu den vielen Lichtern am Weihnachtsbaum, bis zum feierlichen Licht der Osternacht.

▪ Ein selbstgestaltetes Lichtglas … schafft eine harmonische Atmosphäre zum Betrachten des Bilderbuchs, das bei vielen Medienstellen auch als Bilderbuchkino (Matthias-Film) auszuleihen ist. Licht ist nicht gleich Licht, und wenn es um eine atmosphärisch angenehme Beleuchtung geht, gibt es außer Kerzen und gedimmtem Licht noch die Möglichkeit, mit Licht hinter Glas wunderbare Effekte zu schaffen. Die perfekte Grundlage dafür sind große Einmachgläser, die mit Lichterketten illuminiert werden. Je nach persönlichen Wünschen und Vorstellungen werden sie mit Bildern oder Objekten, die in Bezug zur Geschichte stehen,  ausgestattet.

▪ Geschichtendeckel  – als visuelles Erzählgerüst unterstützen Kinder beim Erfassen und Erzählen der Geschichtenstruktur Die Geschichtendeckel unterstützen Kinder dabei, die Geschichte in ihrer Abfolge nachzuerzählen, und dadurch Textverständnis und ein Gefühl für die Struktur einer Geschichte zu entwickeln. Sie sind ein visuelles Erzählgerüst, die den Verlauf der Geschichte verbildlichen und Kinder beim Versprachlichen der Geschichte unterstützen. Wie Geschichtendeckel hergestellt werden: Die vorletzte Doppelseite von „Ein Licht im Wald“  hat Raphaël Kolly  mit Vignetten gestaltet. Auf diesen finden Sie auch die Tiere, denen das Kaninchen im Laufe der Nacht begegnet. Diese Buchseite wird kopiert, die Vignetten werden ausgeschnitten und auf Deckel von Schraubgläsern geklebt. Die Kopie des Kaninchens kann von einer beliebigen Seite stammen. Verlauf: Die Geschichtendeckel sind ungeordnet ausgelegt. Sie werden von den Kindern in eine logische Reihenfolge gebracht. Wenn die Abfolge der Geschichte geregelt vorliegt, beginnen sie die Geschichte mit eigenen Worten wiederzugeben. ▪ Wir erleben Dunkelheit und Licht und sammeln Dunkelwörter und Lichtwörter Material: 1 großer Bogen schwarzes Tonpapaier, 1 großer Bogen weißes Papier, 1 schwarzer Marker, 1 weißer Marker, Taschenlampen oder andere Lichtquellen Der Raum wird so weit wie möglich verdunkelt, die Lichter werden ausgeschaltet, in der Mitte des Stuhlkreises liegt schwarzes Tonpapier. Eine Achtsamkeitsübung folgt: Das Kaninchen ist in der Nacht im Wald unterwegs. Heute wollen wir nachspüren, was Dunkelheit ist. - Wir schließen die Augen. Scheint noch immer etwas Helligkeit durch die Augenlider? - Dann könnt ihr die Augen mit den Händen bedecken. - Jetzt ist schwarze Nacht um euch, so wie beim Kaninchen, als es im Wald unterwegs ist. - Wir sitzen in der Finsternis und lauschen in die Finsternis hinein. - Was hören wir? - Was spüren wir in uns? - Jetzt öffnen wir unsere Augen wieder. Danach können sich alle zur Dunkelheit, zu ihren Gefühlen und Gedanken äußern. Die Kinder sammeln dabei ihre „Dunkelwörter“. Die Dunkelwörter schreiben wir mit weißer Kreide auf das schwarze Tonpapier: Nacht, Schatten, Finsternis, Nachtgespenst, Nachthimmel, Nachtbegeisterung, Nachtwandler, Nachtstille, Nachtlicht. Finster, dunkel, unheimlich, gruselig, schwarz, pechschwarz, rabenschwarz, düster, stockdunkel, lichtlos, trübe, schummrig, schattig, dämmerig, duster, düster, lichtlos, undurchsichtig. Danach wird mit Kerzen, Taschenlampen etc. Licht ins Dunkel gebracht und es werden Lichtwörter gesammelt und auf ein weißes Plakat geschrieben: Tageslicht, Laterne , Lampion, Wunderkerze, Taschenlampe, Sterne, Sonne, Mond, Komet, Lichtschein, Lichtstrahl, Sternschnuppe, Sternenvogel, Irrlicht, Flamme, Feuer, Kerze, Fackel, Lichtblitz, Feuerwerk. Leuchten, strahlen, funkeln, scheinen, glitzern, glänzen, gleisend, lichtdurchlässig, transparent, flimmern, schimmern, flackern, blinken, glimmern, flirren, spiegeln, blitzen. ● Weiterhin können eigene Geschichten zu den Dunkelwörtern und/oder Lichtwörtern oder Geschichten aus der eigenen Erfahrungswelt der Kinder erzählt werden. ● Alternativ können die Dunkel- und Lichtwörter auf kleine Zettel geschrieben und in zwei Schraubgläsern aufbewahrt werden. Das ist ein schöner Impuls, die Gläser immer wieder mal zu öffnen, die Wörter vorzulesen und sich darüber zu unterhalten.

Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Raphaël Kolly Ein Licht im Wald Zürich: Atlantis 2022,  44 Seiten | € 18,00 | ab 4

"Es war vielleicht gerade Zeit, diese Märchen festzuhalten, da diejenigen, die sie bewahren sollen, immer seltener werden ...", heißt es 1812 in der Vorrede zu den Märchen der Brüder Grimm.

Und heute ist es an der Zeit, dass wir uns dafür stark machen, dass Kinder weiterhin mit märchenhaften Geschichten wie der Baumstumpfprinzessin und dem kleinen Holzroboter groß werden können. Tom Gauld erzählt in seinem Bilderbuch von einer Königin und einem König mit sehnsüchtigem Kinderwunsch. Weil sich dieser nicht erfüllt, bittet der Herrscher die königliche  Erfinderin, seine Frau wiederum eine schlaue Waldhexe um Hilfe. Und so kamen die beiden zu ihren geliebten Kindern: dem kleinen tapferen Holzroboter und der mutigen Baumstumpfprinzessin. Geheimnisvoller Weise verwandelt sich diese beim Einschlafen zurück in einen Holzklotz. Jeden Morgen wird sie von ihrem netten Bruder mit einem Zauberspruch geweckt, der sie wieder zur Prinzessin verwandelt. Eines Tages aber nimmt das Schicksal seinen Lauf und die Sache geht schief. Der Holzklotz wird weggeworfen und landet auf einem riesigen Stapel mit abertausenden anderen Klötzen, die in den gefährlichen Norden verschifft werden. Glücklicherweise ist der kleine Holzroboter mit an Bord und trotz eisiger Kälte findet er seine Schwester im Holzhaufen wieder. Gemeinsam machen sie sich auf den sehr langen Heimweg, auf dem für beide reihenweise Herausforderungen warten. Aber ihr geschwisterlicher Zusammenhalt, die Hilfe vieler Tiere und die handwerklich begabte Hexe sorgen für ein glückliches Ende der abenteuerlichen Reise. Und so fallen sich bei Königs alle in die Arme, lachen und weinen und leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Tom Gauld, der unter anderem auch für den „Guardian“ Cartoons zeichnet, schafft Figuren, die durch ihre Klarheit und Schlichtheit begeistern. Mit wenigen Strichen gelingt es ihm, seinen Protagonisten Mimik und Gestik vom Feinsten zu verpassen. Es wirkt liebevoll, wie dezent sich das Krönchen um den Dutt der Prinzessin schmiegt oder eine kleine Astgabel dem Holzroboter als Antenne dient. Staunend und mit großem Entzücken blättert man sich durch die Seiten und freut sich über die oft unvergleichlich merkwürdigen Wesen, die diese Geschichte vorwärtstreiben und für die gegenseitige Hilfe und Unterstützung so selbstverständlich ist. Wer gerne Bilder liest, und darin sind Kinder Meister, wird vielfältige und originelle Details entdecken, wie etwa die Käferfamilie, die im Inneren des kleinen Holzroboters lebt und letztendlich dafür sorgt, dass sich das Drama auflöst und die Geschichte ein gutes Ende nimmt. Auch die Werkstätten der schlauen Hexe und der genialen Erfinderin, die diese so besonderen Geschwister erschufen, zeigen sich als detailverliebte Suchbilder, die Kinder mit Skurrilitäten unterhalten und mächtig die Phantasie ankurbeln. Tom Gaulds erzählt seine märchenhafte Abenteuergeschichte so liebevoll anrührend, eigenwillig und besonders, dass Kinder und Erwachsene gleichermaßen sie noch einmal und immer wieder erleben wollen. Mehr gemeinsames Bildvergnügen und Leselust ist schwer vorstellbar.

▪ Warum Kinder märchenhafte Geschichten brauchen Albert Einstein vertrat die Ansicht: „Wenn Sie möchten, dass Ihre Kinder intelligent werden, dann erzählen Sie ihnen Märchen. Wenn Sie möchten, dass sie hochintelligent werden, erzählen Sie Ihnen noch mehr Märchen.“ - Das wird mit Tom Gaulds märchenhafter Geschichte nicht schwer sein. Obwohl Märchen der Phantasie und dem Gerechtigkeitsbedürfnis von Kindern entsprechen wird immer wieder die Frage gestellt, ob Kinder Märchen brauchen. Bruno Bettelheim bejaht dies in seinem Buch „Brauchen Kinder Märchen?" (1973, S.28) und schreibt dazu: „Mythen und Märchen beantworten die ewigen Fragen: Wie ist das Leben wirklich? Wie soll ich darin leben? Wie kann ich mich selbst sein? Das Märchen überlässt es der Phantasie des Kindes, ob und wie es das, was die Geschichte vom Leben erzählt, auf sich selbst bezieht.“ Bruno Bettelheim weist sehr deutlich und überzeugend darauf hin, wie notwendig das Märchen für die Entwicklung des Kindes ist.  Gerade die Märchen würden dem Kind die Möglichkeit geben, seine inneren Konflikte, die es zum Teil unbewusst erlebt, intuitiv zu erfassen und in der Phantasie auszuleben und damit zu lösen. Das Märchen sieht er als eine Art Zauberspiegel, der die innere Welt des Kindes widerspiegelt: seine Ängste, Wünsche und Phantasien, und es zeige zugleich auf, welche Reifungsschritte notwendig sind Der Neurobiologe Gerald Hüther sieht Märchen als „Superdoping für das Gehirn“ und  vertritt die Einschätzung, Märchenstunden könnten verstärkt die emotionalen Zentren im Gehirn aktivieren und dabei helfen, dass Kinder Ruhe finden und lernen, sich zu konzentrieren.  Das Lernen funktioniert bei Kindern immer dann am besten, wenn es ein bisschen „unter die Haut geht“, wenn also die emotionalen Zentren im Gehirn aktiviert werden und all jene Botenstoffe vermehrt gebildet werden, die das Knüpfen neuer Verbindungen zwischen den Nervenzellen fördern

▪ Warum Kinder Comics schätzen Tom Gauld zeichnet die Geschichte der Baumstumpfprinzessin und des kleinen Holzroboters in Bildern, die sowohl an Holzschnitt als auch an einen Comic erinnern. Comics erzählen in einer speziellen Bildsprache und typischerweise in Sprechblasen von phantastischen Welten und Abenteuern. Das macht sie bei Kindern so beliebt. Mit Hilfe lautmalerischer Ausdrücken und der Verbindung von Bild und Text zeigen sich  die Comic-Geschichten deutlich lebhafter als klassische Bücher. Dies unterstützt die Vorstellungskraft der Leser und Leserinnen, ohne ihnen die Interpretation einzuschränken.  Immer noch wird die kindliche Nutzung und Freude an Comics von manchen Erwachsenen kritisch gesehen obwohl „Leser:innen deutlich mehr Transferleistung erbringen müssen, als es zunächst den Anschein hat. Comics leben von der Imagination des Lesers. Sie können Dinge wie Geräusche, Bewegung oder das Vergehen von Zeit lediglich andeuten. Letztendlich ist es Sache des Lesers diese Stilmittel mit Leben zu füllen und die einzelnen Bilder zu einer Geschichte zusammen zu fügen.“ (www.comicstation.de/faszination-comic-graphic-novel/) Viele Gründe also, die also dafür sprechen, dass Kinder Comics lesen. Auf die Frage nach seinen frühen Comicerlebnissen und Präferenzen als Kind antwortet Tom Gauld: „Die ersten Comics, die ich gelesen habe, waren Asterix und Tim und Struppi. Sie waren die einzigen Comics, die meine örtliche Bibliothek führte. Es gab jede Menge Kinderbücher, aber sie hatten nur eine komplette Auflage dieser beiden Serien und zwei Lucky-Luke-Comics. Meine Eltern waren große Fans der Bibliothek, und wir gingen jede Woche dorthin, sodass ich mich durch die kompletten Folgen von Asterix und Die Abenteuer von Tim und Struppi arbeiten konnte. (the comic journal  27.10.2017)

Wir erzählen selbst ausgedachte Geschichten über die Abenteuer des kleinen Holzroboters Glücklich, seine Schwester als Baumstumpf wiedergefunden zu haben, legt der kleine Holzroboter sie in den Handkarren und macht sich auf den langen Heimweg. „Unterwegs erlebte er zu viele Abenteuer, um sie hier alle zu erzählen“ schreibt Tom Gould und skizziert diese als Panels auf einer Buchseite: - Der Schlüssel des Riesen - Die Räuberfamilie - Die alte Flaschendame - Der Zauberpudding

- Der einsame Bär - Die Königin der Pilze Aber auch die mutige, wieder erweckte Baumstumpfprinzessin, die in der Holzkarre ihren erschöpften Bruder zieht, erlebt auf dem Nachhauseweg ins Schloss viele Abenteuer. Sie trifft: - Die hinterlistigen Elfen - Das Drachenei - Die verfeindeten Jäger - Die riesengroße Amsel - Den Spukbrunnen

- Den Säugling im Rosenstrauch Tom Gauld zeichnet auch hierzu Einzelbilder, die uns den perfekten visuellen Input geben, die insgesamt zwölf Geschichten selbst zu erzählen. Die von den Kindern ausgedachten Erzählungen werden mit einem Audioprogramm aufgenommen und verschriftlicht. Die Kinder illustrieren die Texte  mit eigenen Zeichnungen. Daraus lässt sich ein selbstgestaltetes Buch, sozusagen Band Zwei, zum Bilderbuch von Tom Gauld herstellen: „Die zwölf  Abenteuer des kleinen Holzroboters und der Baumstumpfprinzessin“ geschrieben von…, illustriert von… erschienen im kitaeigenen Verlag …    ▪ Bilderbuchfilm mit englischem Text Einen Eindruck in das wunderschön illustrierte Bilderbuch von Tom Gould bietet der mit englischem Text vorgelesene Bilderbuchfilm „The Little Wooden Robot and the Log Princess“ https://www.youtube.com/watch?v=MhQPOBw2O_4 Sowie der Trailer zum Buch: https://www.youtube.com/watch?v=mNl-bChPZB4

Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Tom Gauld Der kleine Holzroboter und die Baumstumpfprinzessin Frankfurt: Moritz 2022,  40 Seiten | € 18,00 | ab 4

„Legt euch nicht mit mir an, ich bin steinhart. Ein riesiges, furchtloses Felsgebirge.“ …behauptet Steinchen, das schon hunderte von Jahren einfach da ist, unangefochten von Wind und Zeit. 

Überzeugt, dass es nie seinen angestammten Platz verlassen wird, da ja alle zu ihm kommen, ändert sich ganz plötzlich sein geruhsames Dasein:  es wird von einem Hund weggeschleppt und von dessen Herrchen durch die Luft geschmissen. Pflatsch, landet Steinchen hoch oben im Baum in einem Vogelnest neben zwei schönen weißen Eiern. Aber das ist kein Ort für einen Stein, befindet die Amsel, und wirft ihn in den See. Steinchen fühlt sich schon als Insel, da wird es von Kinderhänden geschnappt, in die Tasche gesteckt und findet sich im Kinderzimmer wieder. Dass es dort bemalt und jemand ganz anders wird,  empfindet es gar nicht so übel. Fragend wendet sich Steinchen an die Betrachter und Leserinnen. „Was ich wohl morgen bin? Hast du eine Idee? Nein? Macht nichts. Aber eines ist sicher: Du wirst staunen.“ Und so ist die Phantasie und Kreativität von Erwachsenen und Kindern angeregt, eigene Kreationen aus Steinen zu schaffen, selber Steinschätze zu sammeln oder mit Steinen zu spielen. Der kurzgefasste Text, aus der Ichperspektive des Steinchens erzählt, kurbelt sowohl die  Phantasie  als auch die Sprache an. Flächig und klar illustriert erzählt Marianna Coppo schnörkellos und aufs Wesentliche reduziert über das Steinchen, das mit vielen Veränderungen zurechtkommen muss. Dass es sich dabei nicht aus der Ruhe bringen lässt, ichstark, resilient und phantasievoll sein Steinleben meistert, macht diesen originellen Bilderbuchcharakter sehr sympathisch.

Dank der im Mond schimmernden weißen Kieselsteine konnten Hänsel und Gretel wenigstens einmal den Weg nach Hause zurückfinden. Nicht nur in der Sagen und Märchenliteratur oder im Bilderbuch stoßen wir immer wieder auf die Faszination der Steine. Nahezu überall begegnen wir in der Natur allen möglichen Arten mit interessanten Strukturen, Färbungen und anderen Besonderheiten. In vielen Kulturen sind Steine ein seit jeher beliebtes Mittel zum Gestalten und zum Spielen. Wir verwenden sie für Geschicklichkeits- und Regelspiele oder ganz einfach, um sie ins Wasser zu werfen.  Steine sind seit Jahrtausenden eng mit der Menschheitsgeschichte verflochten, und bis heute übt diese steinerne Materie ihren Reiz auf Kinder- und Erwachsenenhände aus. Zum Spielen eignen sich meistens Kieselsteine. Die sind von vielen Wellen und Wasserströmungen hin und her gerollt und davon glatt geworden. 

▪ Steinmuseum  Steine haben genauso vielfältige Farbtöne wie sie Formen haben. In der Beschaffenheit des Steins sehen Kinder oft etwas Typisches, ein Tier etwa oder ein Gesicht. Diese Wahrnehmung wird angeregt, wenn diesen Phantasien und Interpretationen Gestalt verliehen wird. Das geht ganz einfach mit einem schwarzen, wasserfesten Filzstift. Geht man spazieren, sollte man den gleich parat haben. So entsteht ein Elefant, ein Marienkäfer oder ein anderes, phantastisches Wesen.  Präsentiert auf schwarzem Hintergrund, Holz oder Wurzeln lässt sich drinnen oder draußen eine Steine-Ausstellung oder ein Stein-Museum einrichten – und natürlich kann „Steinchen“ auch gerne dabei sein…  Eine Aktion, die übrigens Erwachsene und Kinder gleichermaßen begeistern kann.

▪ Stein-Pyramide  Für jedes mitspielende Kind braucht es 21 Steinchen. Außerdem benötigt man noch einen Augen-Würfel. Die Mitspielenden sitzen im Kreis. In der Mitte befindet sich der Steinbruch, d.h. alle Steine liegen auf einem Haufen. Wir würfeln reihum. Sobald ein Spieler eine Sechs hat, nimmt er sich sechs Steine weg und legt sie, mit kleinen Abständen, in einer waagrecht verlaufenden Reihe, vor sich hin. Als nächstes versucht er, die Fünf, dann die Vier, die Drei, die Zwei zu würfeln, und die jeweilige Anzahl von Steinchen abzulegen. Werden die Steine versetzt, d.h. immer über den Zwischenräumen, abgelegt, baut sich eine Pyramide auf. Gewonnen hat, wer als erster oder erste für seine Pyramide die krönende Eins würfelt.   ▪ Steine im Schuh 4-6 Kinder können mitspielen, jedes braucht fünf etwa gleichgroße Steine. Außerdem wird ein Schuh benötigt.  Hier geht's darum, möglichst geschickt beim Werfen zu sein. Zuerst zeichnen wir mit Kreide einen Kreis, der Durchmesser hängt vom Wurfgeschick der Kinder ab. In die Mitte wird der Schuh eines der mitspielenden Kinder gestellt. Jedes Kind hat fünf Steine. Reihum versuchen die Kinder, einen Stein in den Schuh zu werfen. Die getroffenen Steine bleiben drin. Alle, die im Kreis gelandet sind, werden unter die Kinder aufgeteilt. Reihum wird jetzt versucht, diese mit einem Blitzschlag im Schuh zu versenken. Und das geht so: Ein Auge wird zugekniffen, unter das offene wird ein Stein gehalten und in den Schuh fallen gelassen. Steine, die getroffen haben, bleiben drin, die anderen lässt man liegen. Der Schuhbesitzer schnappt nun seinen Schuh und schaut nach, wieviel Steine drin gelandet sind. Die Kinder versuchen, ihr Wurfgeschick von Spiel zu Spiel zu steigern.

▪ Steinschatz-Kim Ein "Kim" ist ein Wahrnehmungs- und Gedächtnisspiel. Mitspielen können bis zu sechs Kinder. Alle haben einen „Schatzkasten“, d.h. ein farbiges Blatt Papier. Jede und jeder legt 10 Steine in den eigenen Schatzkasten.  Die erste Spielerin schaut sich ihre Steine ganz genau an und sagt zu den anderen: "Ich betrachte meinen Schatz". Die anderen sagen: "Hast du ihn Dir angeschaut?". Dann hält sie sich die Augen zu und die anderen nehmen jeweils einen Stein aus ihrem Schatz und legen ihn in die eigene Schatztruhe. Die Spielerin öffnet die Augen und versucht, ihre weggenommenen Steine wiederzuerkennen. Wenn sie es schafft, bekommt sie sie zurück - sonst sind sie verloren.  Dann kommt der nächste Spieler an die Reihe. Wer am Schluss die meisten Steine in seiner Schatztruhe hat, ist Gewinner oder Gewinnerin. ▪ Wortschatz „Steinchen“ wird mit wenig Text erzählt. Deshalb ist die Geschichte auch geeignet, Sprechanlässe zu liefern und den Wortschatz zu erweitern. Hierzu eine kleine Wortschatzkiste: Es gibt: Edelsteine, Kieselsteine, Hinkelsteine den Steinadler, Steinbeißer und den Steinbock, und die Steinzeit Aber auch: Dominosteine, Bausteine, Grabsteine, Tropfsteine…. Steine sind vielfältig: rund, spitz, eiförmig, glatt, groß, klein, dick, bunt, grau, weiß, schwarz, rot, grün, gefleckt, hart, bröselig…  Manches ist: steinalt, versteinert, steinig… Wie lassen sich Steine beschreiben? Form, Struktur, Farbe, Gewicht

Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Marianna Coppo Steinchen. Münster: Bohem 2022,  48 Seiten | € 15,00 | ab 3

Wenn draußen zunehmend der Regen herabrauscht, wird es drinnen behaglich und gemütlich: „Einfach nur lesen oder spielen oder rumhängen und träumen…“, denkt Toni, packt sich einen Stapel Bücher und wirft sich in ihren kuscheligen Sessel. An der Wohnungstür Tür hängt ihr „Bitte- nicht-stören-Zettel“, aber Fred, der Drache kann oder will ihn nicht lesen.

Wild entschlossen flattern seine kleinen Flügel, sein Drachenschwanz wackelt vor Freude, während er mit der Schirmspitze auf den Klingelknopf drückt. Toni öffnet ihrem Freund, kocht seine geliebten Würstchen und viel Kaffee. Flugs  hat Fred eine Tasse in den Pfoten und trinkt die Kanne leer, dann fläzt er sich auf das Sofa und liest. Als er Toni pinkeln hört, muss er auch. Trotz aller trickreichen und auch absurden Versuche will das nicht so richtig klappen. So ein großer Drachenpo passt halt nicht aufs Menschenklo, und draußen pinkeln will Fred auch nicht.  Verdruckst und dringlich müssend tritt er von einem aufs andere Drachenbein, und plötzlich hat er die Lösung: schnell zum Pinkeln nach Hause fliegen. Und so startet ein fantastischer Flug. Mit Toni und ihrem Dackel auf dem Rücken, jagt Fred raus aus der Stadt, fliegt pfeilschnell über Berge und geheimnisvolle Landschaften bis ins Reich der Drachen. Dort erfahren wir einiges über das Leben von Freds Spezies und sehen erstaunt, wie der freundliche Geselle endlich zur Sache kommt: in hohem Bogen pinkelt er aus seinem wunderhübschen barocken Drachenklo-Pavillon in den See. Dass er sich dafür ziemlich umständlich in dieses Klo-Juwel hineinwinden muss, ist ihm egal, er ist erleichtert und hochzufrieden. Rasch verabschiedet er sich von seinem Familienclan, und Kind, Drache und Dackel begeben sich auf einen sagenhaft schnellen Rückflug. Zu Hause gibt es erst mal einen schönen warmen Kakao, bevor Drache Fred schon wieder loszieht und Toni es sich erneut auf dem Sofa gemütlich macht. Die feinen, mit herbstgoldenen und wasserblaugrauen Farbtönen aquarellierten Bleistiftzeichnungen setzen die Atmosphäre der Geschichte bildstark in Szene. Die regennasse Kleinstadtatmosphäre, der luftige Flug, bei dem es Bindfäden regnet, und das wasserreiche Land der Drachen schaffen fühlbare Kontraste zum heimeligen Zu-Hause-Sein. Die Grenzen kindlicher Phantasie und die Realität verschwimmen zusehends. Sehen da nicht alle Kinder in der Stadt den fliegenden Drachen? Verwandeln sich Steine und Berge allmählich in bewegte Wesen? Der kurzgefasste, zurückhaltende Text lässt Kinder viel Spielraum zum Kommentieren, Fragen und Interpretieren. Dass das so mühelos passiert liegt auch daran, dass Kinder dieses „Ich-muss-mal-Thema“ zur Genüge kennen und unschwer nachvollziehen können. Ein wunderbares Bilderbuch, das mit seinen vordergründig schlichten, dabei hochraffiniert kolorierten Bleistiftzeichnungen Fantasie und Traum anregt.  Ein zeitlos schönes, sehr stimmungsvoll illustriertes Bilderbuch, nicht nur für das heimelige Drinnensein im Herbst.

Kinder brauchen ihre „Pipikaka-Themen“ Worüber Erwachsene wenig sprechen oder sogar mit Scham besetzen, fasziniert Kinder. Die Endprodukte des Verdauungssystems sind jedenfalls für die meisten Kinder ein interessantes Gesprächsthema, mit dem sie auch gerne Eltern und andere Erwachsene aus der Reserve  locken. „Pipikaka-Themen“ werden in Gesprächen behandelt, die Unsicherheit darüber gerne mit Witz und Unsinn verarbeitet. Nicht immer schaffen Kinder es rechtzeitig aufs Klo, manchmal machen sie nachts noch ins Bett – mit Humor versuchen sie Kontrolle über ihre Ängste bezüglich solcher Missgeschicke zu erlangen. Bilderbücher, die dem Thema möglichst offen begegnen, werden von Kindern heiß geliebt und gebraucht, um diese Entwicklungsstufe zu bewältigen. Manche, wie beispielsweise „Der Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“, werden zu Longsellern und in viele Sprachen übersetzt. Die „Drachenregentage“ zeigen sowohl die Nöte, die den Drachen plagen, und die teilweise absurden Lösungsversuche, die mit viel Humor ins Bild gesetzt sind – einfühlsam und unterhaltsam zugleich kommt Juli Völks Bilderbuch daher, in dem sie das handlungsleitende Entwicklungsthema, die Ausscheidungsorgane beherrschen zu lernen, souverän im Drachenleben ansiedelt.

▪ Drachenschwanz-Fangen Wie Fred, der Drache in Juli Völks Bilderbuch, haben alle Drachen lange Schwänze.  Deshalb ist in China, der Heimat der Drachen, auch das Drachenschwanz-Fangen erfunden worden. - Dazu stellen sich alle Mitspielenden hintereinander auf und fassen mit beiden Händen die Schulter oder die Taille der Vorderfrau oder des Vordermannes fest. - Zunächst steht der Drache, den die Kinder bilden, ganz locker da. Ertönt aber der Ruf "Fred muss mal", rennt der Kopf los und versucht, seinen eigenen Schwanz einzufangen. Der aber will dies natürlich verhindern. So windet sich der Drache hin und her - er darf dabei aber nicht auseinanderbrechen. - Ist der Schwanz gefangen, wird der Kopf des Drachen zum neuen Schwanz, und der nächste Mitspieler rückt zum Kopf des Drachens auf.  - Wenn jüngere Kinder mitspielen, kann man dem Kind, das den Drachenkopf einen Fred-Schnurrbart (an einem Gummiband befestigt) aufsetzen und dem letzten in der Drachenreihe ein langes Tuch gut sichtbar als Schwanz um die Taille binden.   ▪ Zum Wesen der Drachen   Julie Völk gibt ihrem Drachen nicht nur einen Namen, sondern verleiht ihm auch einen liebenswerten Charakter. Sie zeichnet ihn nicht biestig und feuerspeiend, sondern eher grazil und weltläufig, ob im Drachenland oder zu Besuch bei den Menschen. Wenn er dort mit seinem Dali-Schnauzbart auftaucht, hübsch artig mit seinem spitzen Stockregenschirm die Klingel drückt, ist sonnenklar, dass hier ein freundliches Wesen anrückt. Jeder würde ihm gerne die Tür öffnen und aus der Bredouille helfen, sein dringendes Geschäft erledigen zu müssen. Drachen sind nicht nur in Kinderbüchern zu Hause, sondern auch in Märchen oder Sagen in vielen Ländern der Welt bekannt. Grundsätzlich zeigt sich der Drache als Mischwesen und setzt sich aus mehreren realen Tieren zusammen. Meist haben Drachen Flügel und einen schuppigen Körper. Manche haben sieben Köpfe oder sind so groß wie ein Haus. Weitere Merkmale sind ein scharfer, durchdringender Blick, ein feuriger Schlund und giftiger Atem. Populäre Drachentöter sind der heilige Georg, der Erzengel Michael oder Siegfried, eine der Hauptfiguren in der Nibelungensage. Im Grimm-Märchen „Die zwei Brüder“ erleben Zwillingsbrüder mit ihren zahmen sprechenden Tieren viele Abenteuer und einer erlegt einen siebenköpfigen Drachen: „Gar nicht lange, so kam mit großem Gebraus der siebenköpfige Drache daher gefahren. Als er den Jäger erblickte, verwunderte er sich und sprach: »Was hast du hier auf dem Berge zu schaffen?« Der Jäger antwortete: »Ich will mit dir kämpfen.« Sprach der Drache: »So mancher Rittersmann hat hier sein Leben gelassen, mit dir will ich auch fertig werden«, und atmete Feuer aus sieben Rachen…“   ▪ Julie Völk zeichnet kunstvoll und mit Bleistift Wer der Illustratorin beim Zeichnen und erzählen über die Schulter schauen möchte: https://www.youtube.com/watch?v=JCZ7N-svxsA

Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Julie Völk Drachenregentage Hildesheim: Gerstenberg 2022,  48 Seiten | € 18,00 | ab 3

Die kleine Rosalie liegt schlafend in ihrem Bett, bewacht von einer rosa Krake und einem knautschigen Frosch. Den Zipfel ihres grasgrünen Deckbetts festumschlossen in der Hand, träumt sie sich in eine fiktive Welt, die es  nur in ihrer Vorstellung gibt. Sie fühlt, beobachtet und erlebt in ihrem Traum, dass sie ganz andere Eltern hat:

Sie fühlt, beobachtet und erlebt in ihrem Traum, dass sie ganz andere Eltern hat: Mama und Papa sind wunderschöne Seeelefanten, die sie liebevoll mit ihren Flossen umarmen. Mama Seeelefant träumt ebenfalls, allerdings von einem Tiefseeforscher. Der flossenpaddelnde Forscher begegnet einem lausig kleinen Oktopus, der wiederum träumt, er wäre ein mächtiger über die Meere geisternder gefährlicher Superschurke, der kleine Menschenkinder erschreckt.  Doch bei dem badenden Mädchen, das keinerlei Angst kennt, klappt das überhaupt nicht. Die träumt sich in ihrem Schwimmring als Opernsängerin auf die Theaterbühne. Dort singt sie gemeinsam mit zwei Riesen, von denen der eine träumt, er wäre viel kleiner, hätte aber eine riesengroße Freundin. So erzählen und verbinden diese Träume eine sich ständig weiterentwickelnde Geschichte. Nikolaus Heidelbach illustriert in seinen kunstvollen Bildern die Träume von Meerschweinchen und Erdmännchen, von Menschen und  Teufeln. Er erzählt kleinen und großen Leserinnen und Lesern bildgewaltig, mit berauschender Phantasie und lotst sie dabei in skurrile Traumwelten. Da wird geträumt, dass man geliebt wird, so wie man ist, Großes und Gutes tun möchte, Ängste überwindet oder, wie die Fee, jemand ganz anderes zu sein. Die will nie mehr Fee sein, sondern als jüngste Tochter in einer glücklichen Familie leben, weil sie keinerlei Lust mehr verspürt, ewig die Wünsche anderer zu erfüllen. 

Trotzdem sei hier der Wunsch erwähnt, dass Kinder möglichst viele Wesen und Geschichten von Nikolaus Heidelbach erleben können. Denn Kinder lieben Heidelbachs Bilder, viele Erwachsene schätzen seine Kunst.  Mit „Rosalie träumt“ verschafft er uns, wieder einmal, märchenhaft inszenierte Traumwelten, die Gefühle und Gedanken stark anregen. Dabei werden wir in eine andere Welt entführt: in die kunstvolle Welt der ungezähmten Phantasie, mit symbolträchtigen und magischen Bildern. 

„Für Kinder sind Träume real“, erklärt Professor Michael Schredl, Leiter des Schlaflabors am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Erst mit etwa fünf Jahren können Mädchen und Jungen zwischen Traum und Realität unterscheiden.  Einen aufschlussreichen Beitrag zum Thema Kinder und Träume liefert sein Fachbeitrag „Träume - einem Mysterium auf der Spur“ in dem er unter anderem auch darauf eingeht, wie unterschiedlich Erwachsene und Kinder träumen.  https://www.visoparents.ch/fileadmin/medien/Imago_Magazin/pdf/imago_4_21_OK_einzelseiten_traeume.pdf

▪ Wenn Kinder ihre Träume erzählen und zeichnen Die fantastischen Bilderwelten von „Rosalie träumt“ fordern den Dialog mit Kindern geradezu heraus. Die Magie und surrealen Elemente regen Imagination und Sprache gleichermaßen an.  In vielen Szenen sind Situationen dargestellt, die inspirieren können, gemeinsam mit den Kindern weitergehende Überlegungen anzustellen. Solche Gedankenspaziergänge sollte man allerdings nicht gleich in der ersten gemeinsamen Betrachtung anstellen.  Erst einmal sollen die Kinder die Bilder auf sich wirken lassen können. Im Dialog ist oft zu erleben, dass Kinder über ihre eigenen Träume sprechen möchten. Ihre Träume zu erzählen hilft  Kindern auch, zwischen Traum und Realität besser unterscheiden zu können. Wenn Kinder Erwachsene um sich haben, denen sie ihre Träume erzählen können, wird das Traumgeschehen deutlicher abgehoben von der Realität.  Suchen Sie dabei gemeinsam mit den Kindern nach einer Lösung, wie sie herausfordernde Situationen im Traum bewältigen könnte.  Wenn Kinder ihren Traum aus sprachlichen Gründen nicht schildern können, hilft das Zeichnen, Traumerlebnisse auszudrücken. Lassen Sie Kinder den Traum zeichnen und achten Sie darauf, dass es auch sich selbst in das Bild einzeichnet. Versuchen sie nicht, die Bilder zu deuten, fragen Sie einfach nach, was im Traum passiert ist. ▪ Einen positiven Ausgang von Träumen kreieren Der Psychologe und Traumforscher Michael Schredl, rät, sich Helfer vorzustellen oder die bedrohliche Traumfigur direkt anzusprechen. Vielleicht kann man sie auch wegzaubern. Fragen Sie das Kind, was es auf seinem Traumbild einzeichnen könnte, damit es in der Situation weniger Angst hat. Diesen positiven Ausgang des Traums sollten die Träumenden sich zwei Wochen lang jeden Tag vorstellen. «Auf diese Weise konfrontieren sich die Betroffenen mit der Angst und sie verändern ein eingefahrenes Muster», sagt Michael Schredl.  ▪ Traumfänger  Ein Traumfänger soll böse Träume einfangen und nur die guten Träume zum Schläfer durchlassen. In der indianischen Vorstellung neutralisiert die Morgensonne die bösen Träume, die im Traumfänger festgehalten wurden. Materialien, die benötigt werden um einen Traumfänger herzustellen:    - einen Ring aus Holz oder Metall (20 cm Durchmesser) - dicke Wolle, festes Garn  - Federn, Holzperlen Eine einfache Herstellungstechnik zeigt: https://www.youtube.com/watch?v=RvRtoARuo44 Wie Kindern aus Natur-Fundstücken einen Traumfänger herstellen können: https://blog.hans-natur.de/allgemein/anleitung-traumfaenger-basteln

Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Nikolaus Heidelbach Rosalie träumt. Zürich: minedition 2022,  32 Seiten | € 20,00 | ab 5

Zzzzzzzssssssssch, so klingt das hochfrequent zischende Luftablassen eines Standup Paddeling Boards, das fast lautlose Ssssssssssssssssss eines E-Scooters ist wohl unsere Zukunftsmusik. Fakt ist, jede Zeit klingt anders: Kein Zug muss mehr schnaufen wie „Henriette Bimmelbahn“, das Mobiltelefon wählt lautlos, im Gegensatz zum früheren Wählscheibentelefon. 

Wie wir leben beeinflusst, welche Geräusche um uns herum klingen. Der Alltag ist voller Geräusche – jedoch merken wir meist erst, wie viele es sind, wenn sie plötzlich fehlen. Bereits zu Beginn des Spracherwerbs, wenn Kinder mit ihrer Stimme experimentieren, entdecken sie bald freudig das Spiel, externe Töne, Klänge und Geräusche zu erzeugen. Sie freuen sich, wenn sie selbst ein Scheppern oder Klappern auslösen und zeigen oft reges Interesse am Geräuschemachen und an den Geräuschen der Umwelt. Bei Kindern sprechen Geräusche sehr intensiv die emotionale Ebene an, sie wirken unmittelbar.  Im Bereich der Literatur für die Allerkleinsten sind geräuschvolle Bilderbücher, beispielsweise „Klipp Klopp“ (Moritz Verlag) oder der Klassiker „Klopf an!“ (Hanser Verlag), dementsprechend stark vertreten.  Ein Blick auf die Geräusche, die in unserer Welt wahrzunehmen sind, zeigt ein besonderes Bilderbuch, das ganz ohne Worte auskommt. In 160 Bildern klappert und scheppert, schnattert, knattert, knistert, raschelt und bimmelt es. Ungewöhnlich ist, dass die Geräusche in witzigen, farbstarken Illustrationen abgebildet sind, die sofort zum Imitieren animieren. Manche Geräusche, entstehen wie von selbst im Kopf und tönen sofort aus den Mündern der Leserinnen und Leser. Manchmal erfordern die Bilder feine Unterschiede bei der Soundproduktion: wie klingt der Luftstrom eines Föns im Vergleich zum Heulen eines mächtigen Sturms?

Das visuelle Auslesen der 160 Bilder und deren hörbare Umsetzung machen viel Spaß, weil das Leseergebnis in der  unmittelbaren Produktion der Geräusche besteht. Auffallend oft und gern beschäftigen sich mehrere Kinder gleichzeitig mit den soundanimierenden Bildern. Die mündliche Sprache kommt dabei rasch und zuverlässig ins Spiel, da gerne erklärt wird, warum das Spaghettischlürfen genauso klingt, wie es jetzt zu hören war. Oder aber wenn jemand eine gerade produzierte und von den Mitlesenden angezweifelte Geräuschinterpretation engagiert erklärt oder verteidigt wird.  Rundum ist dieses geräuschvollste aller Bücher eine sehr solide Grundlage, um aus den vor Begeisterung tönenden Kindern später einmal eine begeisterte Leserin oder einen begeisterten Leser werden zu lassen. 

Sprechen beginnt mit Hören, deshalb ist die auditive Wahrnehmung ein Bereich, den es zu sensibilisieren gilt. „Spinne spielt Klavier“ regt Kinder in ihrer auditiven Wahrnehmung an, sich mit Klängen, Geräuschen und Sounds in vielfältiger Art und Weise auseinanderzusetzen, genauer hinzuhören und zu unterscheiden. DIE BEREICHE DER AUDITIVEN WAHRNEHMUNG SIND: 1. Die Auditive Aufmerksamkeit  Kinder müssen sich auf Gehörtes konzentrieren, auf auditive Reize einstellen können.  2. Die Auditive Figur-Grund-Wahrnehmung  Ähnlich wie bei der visuellen Wahrnehmung wird hierunter die Fähigkeit verstanden, Reize aus ihrem Hintergrund - den Nebengeräuschen - herauszulösen. Trotz des Lärms im Gruppenraum sollte ein Kind z.B. der Stimme der Erzieherin, die eine Geschichte vorliest, lauschen oder im Straßenverkehr ein hupendes Auto wahrnehmen können.  3. Die Auditive Lokalisation  Hierzu gehört, dass ein Kind eine Geräuschquelle räumlich einordnen, die Richtung, aus der ein Geräusch oder eine Stimme kommt, erkennen kann.  4. Die Auditive Diskrimination  Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Lauten und Tönen müssen erkannt und richtig zugeordnet werden können. Voraussetzung für den Erwerb der Sprache ist z.B., ähnlich klingende Buchstaben wie d und t oder g und k voneinander unterscheiden zu können.  5. Die Auditive Merkfähigkeit  Gehörtes muss gespeichert werden, um wiedererkannt und wiederabgerufen werden zu können. So ist die Fähigkeit, die Reihenfolge von Buchstaben oder Worten zu behalten, Grundlage des Lesenlernens.  6. Das Verstehen des Sinnbezugs  Auditives Wahrnehmen umfasst auch das Verstehen und inhaltliche Zuordnen des Gehörten. Das Hupen des Autos im Straßenverkehr muss nicht nur herausgehört, sondern auch in seiner Bedeutung erkannt werden. Wörter und Buchstaben müssen nicht nur behalten, sondern auch in einen Sinnzusammenhang gebracht werden (z.B. die unterschiedliche Bedeutung von zwei Wörtern mit ähnlichem Klangbild: Kirche - Kirsche)  Zusammenfassung aus:  Zimmer, Renate: Handbuch der Sinneswahrnehmung. Herder 2012. Der IQB-Bildungstrend* zeigt: Zuhörkompetenzen in der Grundschule sinken Geräusche, Klänge, Worte und Musik erregen sinnliche Aufmerksamkeit. Vom Aufhorchen bis zum Zuhören aber ist ein Stück Weg  zu bewältigen. Zuhören, Horchen und Lauschen wollen gekonnt sein.  Geräusche zu produzieren und zu interpretieren ist eine oft vernachlässigte, aber erlebenswerte Teilstrecke auf dem Weg, das Zuhören zu lernen. Dass Zuhörförderung ein unverzichtbarer Anteil sprachlicher Bildung ist, zeigt sich im Nationalen Bildungsbericht 2022. Auch im Kernbereich Zuhören zeigt sich ein Leistungsabfall in der Grundschule: 18,3 % der Schülerinnen und Schüler verfehlten 2021 den Mindeststandard im Bereich Zuhören. Im Jahr 2011 waren es lediglich 7,4 der Grundschülerinnen und Grundschüler.  * Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) testet die Grundschüler alle fünf Jahre.  Quelle: IQB Bildungstrend 2021, Nationaler Bildungsbericht.

▪ Lautmalerei in Szene setzen Der Reiz des Buchs ist ein doppelter: zum einen die lautmalerische Ebene der Geräusche, zum anderen ihre Umsetzung ins Bild. In unserer Sprache versuchen wir mit Lautmalerei Naturgeräusche nachzuahmen. Es gibt viel Wörter, die ähnlich klingen wie der beschriebene Vorgang: Beispielsweise zischen, klappern, rascheln. In Comics beschreiben Wörter die Bewegungen oder Gefühle der Protagonisten, beispielsweise Boing, Zisch, Zack, Zabadong, Keuch, Seufz, Ächz usw. Setzen Sie mit den Kindern kleine Szenen um, in denen Bewegungen mit Geräuschen und Lautmalereien ausgedrückt und untermalt werden. ▪ Geräuschlustige Lautmalerei in lyrischen Texten erleben Lautmalerei steckt in vielen Sprachspielen wie beispielsweise „Aramsamsam Aramsamsam“ oder Versen wie „Eni, Beni, Subtraheni, Divi, davi, Domineni. Zingele, Zangele Dus.” Das Spektrum solcher Laut- und Klangspielereien reicht noch viel weiter - bis zu den in Phantasiesprachen verfassten Klanggedichten von Hugo Ball und Christian Morgenstern.    Diese zeigen, wie Sprache nicht mehr der Kommunikation dient und Gedanken vermittelt, sondern zum Material wird, bei dem die Musikalität der Sprache mit Klängen und Geräuschen in den Vordergrund rückt. Ein Gedicht von Christian Morgenstern - zum Vorlesen und zum Sprechen über Lautverbindungen, die es in der deutschen Sprache so nicht zu hören gibt: Das große Lalula Kroklokwafzi? Sememi! Seiokronto - prafriplo: Bifzi, bafzi; hulalemi: quasti basti bo ... Lalu lalu lalu lalu la! Hontraruru miromente zasku zes rü rü Entepente, leiolente klekwapufzi lü? Lalu lalu lalu lalu la! Simarar kos malzipempu silzuzankunkrei! Marjomar dos: Quempu Lempu Siri Suri Sei! Lalu lalu lalu lalu la! Derlei sprachspielerische Texte regen an, über die Sprache nachzudenken. Diese wichtige Funktion gilt es insbesondere dann hervorzuheben und zu vermitteln, wenn es um Sprachförderung geht. Sprachspiele unterstützen kindliche Theoriebildungen über Sprache, weil man, mit der Sprache spielend, am besten Distanz zu ihr gewinnt. ▪ Tonspur zu den Bildern im Buch produzieren Zwei Situationen, in denen Kinder eine momentweise völlige Aufmerksamkeit und Konzentration auf die abgebildeten Geräusche entwickeln können:  - Jedes Kind sucht sich einige Lieblingsbilder aus und die dazu produzierten Geräusche werden digital aufgenommen. 

- Produzieren Sie mit den Kindern eine Tonspur zum Buch: Nehmen Sie die von den Kindern produzierten Geräusche digital mit Smartphone oder Handyrecorder auf und lassen sie beim Betrachten abspielen.  Die geräuschvollen Aufnahmen werden gerne immer wieder angehört und geben Anlass zu Kommentaren, Feststellungen und Gesprächen.

Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Benjamin Gottwald Spinne spielt Klavier. Geräusche zum Mitmachen. Hamburg: Carlsen 2022,  160 Seiten | € 18,00 | ab 3

Das bei Kindern beliebte Spiellied „ Was müssen das für Bäume sein“ erzählt von Bäumen, die rechts und links wachsen und von den Zwischenräume, die den Elefanten ermöglichen, ohne Blessuren hindurch zu spazieren. So weit, so gut - so ist es den meisten Menschen bekannt.

In diesem Lieder-Bilderbuch gibt es jedoch noch vier weitere Strophen, die den Spaziergang der Elefanten beschreiben und immer eine witzige Lösung anbieten, wenn es mal wieder eng wird. Da geht es durch Steppe und Dschungel, an Flüssen entlang, unter Brücken durch und auf die Berge hinauf.  Schlussendlich, versteht sich, gehen auch die Elefanten nach ihrem abenteuerlichen Wandertag nicht sofort schlafen… All das ermöglicht insgesamt viel Singspass, von laut nach leise, lädt ein zum Stampfen, Tanzen und anderem Körpererleben. Jede Liedstrophe ist auf einer Doppelseite flächig und frech illustriert und mit dem jeweiligen Textvers versehen. Das erlaubt Kindern, das Lied bildgestützt zu erlernen und zu singen, was die Bücher dieser Reihe besonders praxistauglich macht. Auf der Rückseite des Bucheinbands befindet sich der Notensatz für Singstimmen, der Kindern auch die Erkenntnis ermöglicht, dass Noten als schriftliche Symbole für Töne verwendet werden. Diese Liederbuchreihe verbindet Musik, Sprache und Literacy und ist ein kleiner kinderkultureller Schatz für die Kitabibliothek. In dieser Ausstattung erhältliche Titel sind unter anderen beispielsweise: „Alle Vögel sind schon da“, „In meinem kleinen Apfel“, „Die Affen rasen durch den Wald“, „Backe, backe Kuchen“, „Häschen in der Grube“, „Wide wide wenne heißt meine Puthenne“, und auch das bekannte Gedicht von Christian Morgenstern „Die drei Spatzen“.

Kinder lieben die Verbindung von Bewegung, Singen und Sprechen, die das Spiellied kennzeichnet. In der kindlichen Entwicklung sind diese Elemente eng aufeinander bezogen: die frühen Kommunikationsmuster und auch die erste Kinderworte wie Mama, Papa, Wau-Wau  sind vorwiegend rhythmisch musikalisch. Die Bewegung des Körpers unterstützt die Wahrnehmung  von Stimme und Sprache. Die Motorik, die wir zur Artikulation der Sprache benötigen, ist eng mit der Feinmotorik der Hände und Finger verbunden. Unsere Lautsprache ist aus der Sprache der Gesten und Gebärden entstanden. Spiellieder  beziehen mit ihren Bewegungen den Körper mit ein.  Gesungene Sprache und Bewegung verbinden sich, das sprachliche Geschehen wird körperlich erlebt. Wenn es um kindliches Lernen und ganzheitliche Entwicklung geht, spielt diese Verbundenheit immer eine wichtige Rolle. 

▪ Gemeinsam Bewegungschoreographien zum Text entwickeln Im Verlauf des Liedes werden zum Text bestimmte Bewegungen umgesetzt. Beispielsweise zur ersten Strophe im Buch: „Was müssen das für Bäume sein, wo die“ - abwechselnd mit den Füßen stampfen, „großen“ - die Arme nach oben strecken, „Elefanten“ - einen Rüssel formen, indem man mit einer Hand an die Nase fasst und den anderen Arm durch die Öffnung streckt, „spazieren gehn, ohne sich zu stoßen“' -  wieder abwechselnd mit den Füßen stampfen, „Rechts sind Bäume,“ - mit beiden Händen rechts stehende Bäume darstellen, „links sind Bäume“ - mit beiden Händen links stehende Bäume darstellen, „und dazwischen Zwischenräume“ – mit den Händen die Zwischenräume andeuten, „wo die großen Elefanten spazieren gehn.“ – wieder mit den Füßen stampfen. Die Bewegungen zu den nächsten vier Strophen sind aus dem Text abzuleiten und lassen sich gemeinsam mit den Kindern entwickeln. ▪ Der Fingerelefant spielt mit Das Spiellied lässt sich auch mit der Hand bespielen, die hierzu einen Fingerelefanten führt.

Unter https://www.kidsweb.de/zirkus_spezial/elefant_mit_fingerruessel.pdf  gibt es eine Vorlage zum Ausdrucken, die von den Kindern ausgeschnitten und bemalt werden kann. ▪ Zum Singen, Sprechen und Rappen Auf der CD „Was müssen das für Bäume sein“ präsentiert das Vokalensemble FÜENF frisch und charmant 25 Kanons zum Singen, Sprechen und Rappen. Vom Gänsekanon über Mozarts Bona nox bis zu Fredrik Vahles Rabenkanon reicht die Palette der CD, die witzig und überzeugend hörbar macht, wie „cool“ und rhythmisch Kanons klingen können. Eine Hörprobe, der im Verlag Sauerländer erschienen CD finden Sie unter: https://www.fuenf.com/audio/was-muessen-das-fuer-baeume-sein-2/

Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Sabine Kranz (Illustr.): Was müssen das für Bäume sein. Berlin: Eulenspiegel Kinderbuchverlag 2022,  12 Seiten | € 8,00 | ab 2

Geschichten können Trost spenden und Mut machen in schwierigen Zeiten.  In dieser Zusammenstellung finden Sie Bücher und Geschichten, die Kinder mit deutscher oder ukrainischer Erstsprache erleben können.

Sie bieten sich an als Brücke für Gespräche, trostreiche Lesesituationen, für ein verständnisvolles Zusammensein.  Und sicher sind Bücher und Geschichten ein Weg, um ein Stück Sprachlosigkeit aufzubrechen. Auch wenn es darum geht, Gewalt und Flucht, Krieg und Frieden im Zusammenleben mit Kindern zu thematisieren. Wir können helfen, indem wir vorlesen und uns für ein friedvolles Zusammenleben engagieren.

Elzbieta : Floris & Maja  Frankfurt: Moritz 2022, 40 Seiten |12, 95 € | ab 5

Jeden Tag spielen Floris und Maja zusammen am Bach. Mal auf Majas, mal auf Floris´ Seite. Wenn sie groß sind, wollen sie heiraten. Doch da kommt der Krieg. Floris´ Vater muss fort. Am Bach, zwischen Floris und Maja, liegt auf einmal hoher Stacheldraht. Die beiden dürfen sich nicht mehr sehen, ja nicht einmal mehr voneinander sprechen. Der Krieg hat es verboten. Er beherrscht alle und nimmt keine Rücksicht. Eines Tages kommt der Vater zurück, der Krieg ist zu Ende. Aber Floris begreift, dass das „Ungeheuer” nur eingeschlafen ist und dass man sehr leise sein muss, um es nicht wieder aufzuwecken. Er läuft zum Bach hinunter und hört plötzlich, wie jemand seinen Namen ruft. Maja hat ein kleines Loch im Stacheldraht gefunden und ist zu ihm über den Bach gekommen. Ein anrührend poetisch erzählendes Bilderbuch, das Kindern das Unvorstellbare nicht erklärt, sondern Gefühle, Gedanken und Gespräche ermöglicht.  

Elzbieta erzählt ihre Kindergeschichte aus Floris‘ Perspektive. Sie hält nichts zurück, sondern führt uns in ganzseitigen Fensterbildern sowie in wenigen Worten seine Erlebnisse und Fragen vor Augen. „Den Krieg kann man nicht töten, kleiner Floris. Denn er wird niemals sterben. Er schläft nur hin und wieder ein.“ Geboren in Polen wuchs Elzbieta im von Deutschen besetzen Elsass auf, lebte in England und zuletzt in Paris. 2018 ist sie im Alter von 82 Jahren gestorben. Über Floris & Maja sagte sie einmal: »Aufgrund meiner eigenen Erfahrung als Kriegskind soll der Stacheldraht zwischen Floris und Maja nicht nur als psychische und physische Trennung verstanden werden, sondern darüber hinaus jede Art von Willkür und Volksverhetzung symbolisieren.«

Constanze von Kitzing: Ich bin anders als du - Ich bin wie du  Deutsch-ukrainische Ausgabe |mit MP3-Hörbuch zum Herunterladen München: bi:libri 2022, 80 Seiten | 17,50€ | ab 4

Was verbindet oder unterscheidet ist in diesem Wendebuch über Vielfalt nicht unbedingt auf den ersten Blick zu erfassen. Christiane von Kitzings Bilder spielen zunächst mit den Gedanken der Betrachtenden und überraschen diese dann, indem sie das Offensichtliche unterlaufen. Der Text unter den Bildern vermittelt viel über die Vorlieben, Interessen und Wünsche der porträtierten Kinder  und ihrer Familien. Wir erleben, wie bunt Vielfalt ist, und dass es gut tut diese gemeinsam zu leben. Die Verbindung von Individualität und Diversität ist spannend gestaltet und  überzeugt durch die Leichtigkeit der Bilder.  Methodische-didaktische Anregungen finden Sie in der Besprechung 2021 Im Verlag bi:libri sind |in der Reihe bilibrini | die Titel „Im Wald“, „Beim Kinderarzt“, „Im Supermarkt“  in einer deutsch-ukrainischer Ausgabe erhältlich.  Die kleinen zweisprachigen Hefte haben 16 Seiten mit Wort-Bild-Leiste auf jeder Seite.  https://www.edition-bilibri.com/books/im-wald

4 Bilderbücher aus den Verlagen cbj und penguin junior

https://www.penguinrandomhouse.de/Bilderbuch-Kino-Unsere-liebsten-Charakter-ganz-gross/aid89615.rhd#Bilderbuchkinos-auf-Ukrainisch

Die digitale Version finden Sie unter: https://www.hueber.de/shared/livebook/kleine-eisbaer-ukr/

Der Carlsen Verlag gibt ein Pixi-Buch für Kinder heraus, die vor dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland flüchten mussten. Pixi bekommt Besuch wurde ins Ukrainische übersetzt und wird über den lokalen Buchhandel an Hilfsprojekte verteilt, die sich für die Versorgung geflüchteter Kinder und ihrer Mütter engagieren. Insgesamt werden 30.000 Exemplare kostenlos zur Verfügung gestellt.  Wer Pixi Bücher an geflüchtete ukrainische Kinder weitergeben möchte, kann sich mit einer Buchhandlung vor Ort in Verbindung setzen, die dann die Bestellung der Bücher beim Verlag übernimmt. Zum Inhalt: „Pixi und seine Freunde helfen einer Katze, deren Windmobil zu Bruch gegangen ist. Bei heißem Kakao wird aus der Begegnung Freundschaft, schließlich ziehen alle zum Übernachten in Pixis gemütliche Höhle, wo die Katze von ihren Reiseabenteuern erzählt.“ Auf der Rückseite des Buches stellt Pixi statt des üblichen Basteltipps einen „kleinen Grundwortschatz der Begegnung“ vor.

Auf www.bilingual-picturebooks.org sind Geschichten in vielen Sprachen kostenlos  herunterzuladen. Fünf der Geschichten stehen auch in ukrainischer Übersetzung zur Verfügung: 

Diese fünf Bücher haben Kinder und Jugendliche für andere Kinder und Familien geschrieben. Sie haben sich zusammen die Geschichte ausgedacht, die Bilder gemalt und zu zwei der Bücher auch Musik komponiert. Die Idee der Kinder ist es, anderen Kindern Geschichten zu schenken.

Das ukrainische Bilderbuch "Ganz allein meine Mama" erscheint im Mai. Der Moritz-Verlag übernimmt die Schirmherrschaft über das Buch des ukrainischen Krocusverlages, das trotz der Papierknappheit Ende Mai in Deutschland erscheinen soll: "Najmoisha Mama" ("Ganz allein meine Mama") mit einem Text von Halyna Kyrpa und Bildern von Hrasia Oliyko wird in Deutschland auf ukrainisch gedruckt. Die Druckorganisation und den Vertrieb übernimmt der Moritz Verlag, die Druckerei spendet den Druck. Somit können die Einnahmen aus dem Verkauf nahezu gänzlich dem Krokusverlag und seinen Künstler_innen zugutekommen.

Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Gedichte, sind kleine sprachliche Kunstwerke, die mit wenigen Worten viel auf den Punkt bringen und reichlich Inhalt transportieren. 365  lyrische stimmungsvolle Gedichte und Lieder zu Tieren aus aller Welt, für jeden Tag eines, sind in dieser Anthologie versammelt.

  Der Frühling ist die schönste Zeit Der Frühling ist die schönste Zeit! Was kann wohl schöner sein? Da grünt und blüht es weit und breit Im goldnen Sonnenschein. Am Berghang schmilzt der letzte Schnee, Das Bächlein rauscht zu Tal, Es grünt die Saat, es blinkt der See Im Frühlingssonnenstrahl. Die Lerchen singen überall, Die Amsel schlägt im Wald! Nun kommt die liebe Nachtigall Und auch der Kuckuck bald. Nun jauchzet alles weit und breit, Da stimmen froh wir ein: Der Frühling ist die schönste Zeit! Was kann wohl schöner sein? Annette von Droste-Hülshoff  

Dass die Vielfalt im Tierleben nicht nur zoologisch interessant ist, sondern sich eindrucksvoll in Poesie und Melodie umsetzen lässt, beweist dieser einmalig wunderschön ausgestattete Prachtband. Bekannte Reime und Kinderlieder, volkstümlich oder klassisch, von Morgenstern über Ringelnatz bis zu Johann Wolfgang von Goethe, sind genauso zu entdecken wie zeitgenössische Verse. Auch vom „Meister der kleinen Form“, Josef Guggenmos, sind viele Tiergedichte zu finden. Sein kinderlyrisches Werk versorgt Kinder mit hunderten Gedichten zum Tierreich.

„Jetzt singt im Wald, wer singen kann,  vor Frühlingsglück nach langer Not. Und einer trommelt, dass es schallt: Der Buntspecht schwarzweiß-feuerrot.“   Josef Guggenmos  

Ob kurz oder lang, ob ernst oder heiter, ob laut oder leise, Tierpoesie kennt viele Formen, und deshalb finden hier alle, ob groß oder klein, ihr tierisch schönes Lieblingsgedicht oder Lied. Die künstlerische Gestaltung dieser Anthologie ist ein umfassender zoologischer Bilderbogen. Sie lässt die Leserinnen und Leser in das geheimnisvolle Tierreich eintauchen und lädt ein, in den faszinierenden Bildern von Britta Teckentrup auf Abenteuer und Entdeckungsreise zu gehen.

Einen Leguan und die Schlange  zwischen den Blättern zu entdecken, die Krebse und Meeresschildkröten im tiefen Blau des Meeres zu betrachten oder mit einem Braunbär durch die Bergwelt zu stapfen - alles ist möglich in diesem Bücherschatz. Die ausdrucksstarken Bilder von Britta Teckentrup geben der Lyrikanthologie einen atmosphärischen Zauber. Alleine schon deswegen sollten Kinder diese Gedichte über Tiere in ihren unterschiedlichen Lebensräumen wie Arktis, Dschungel, Savanne, Wiese und Wald erleben können.

Das umfangreiche, ästhetisch gestaltete Hausbuch, weckt viel Freude an der Lyrik und bezaubert mit seinen kunstreichen und genussvollen Bildern aus der Tierwelt. Eine rundum wundervolle Sammlung, ein Lyrik- und Kunstschatz, der jede Kitabibliothek bereichert.

▪ Tierfiguren in Geschichten, Liedern und Gedichten für Kinder Tiere in all ihrer Vielfalt sind Begleiter durch die Kindheit.  In Texten und Bildern für Kinder nimmt das Tier eine zentrale Rolle ein. Kinder  haben eine besonders nahe Gefühlsbindung zu Tieren, sie fühlen sich ihnen ähnlich. Und trotzdem muss das Kind nie werden wie das Tier, der Vorbildcharakter fällt weg. Tierfiguren bieten Kindern die Möglichkeit, einen Lebensentwurf, eine Entwicklung zu spielen und auszuprobieren.  Das hilft ihnen, ihre eigene Welt und sich selbst besser zu verstehen. Eine Tierfigur kann ein Stück Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit der Kinder wiederspiegeln. Vielen Kindern fällt es leichter, sich mit einer Situation auseinanderzusetzen, wenn sie auf ein Tier projiziert ist. Das ermöglicht eine Begegnung mit fremden Erfahrungen, eine Gelegenheit, etwas zu erleben und zu testen, und zwar ohne Konsequenzen.  Tierfiguren erlauben es Kindern, auf sehr unterschiedliche Art und auf verschiedenen Gebieten Erfahrungen zu sammeln. Die Kinderbuchautorin Hanna Johansen beschreibt die Beziehung zwischen Kindern und Tierfiguren so: „Das Kind weiß genau: Das Tier, das lebt nun mal anders als ich. So entsteht eine wunderbare Gleichzeitigkeit, indem sich die Kinder identifizieren und dennoch ‚ich‘ bleiben.“ ▪  Kinder und Lyrik Kinder brauchen Gedichte, weil sie gebundene Sprache, Rhythmus und Reim lieben und nie genug davon bekommen können. Zur komplexen Wirklichkeit des Spracherwerbs gehören auch Sprachlust und Kreativität, und Lyrik vermittelt beides. Kinder leben in der Mündlichkeit, und so versteht es sich von selbst, dass Gedichte gesprochen, gelesen, rezitiert werden. Und weil Kinder Wiederholungen lieben und Reim und Rhythmus die besten Speichermedien für Sprache sind, machen sie sich Gedichte zu eigen, indem sie die Texte memorieren und auswendig sprechen. So kann man ein Gedicht ein Leben lang besitzen, was sich von wenigen materiellen Dingen sagen lässt, und kann sich auch ein Leben lang an diesem verinnerlichten Schatz erfreuen.

Kinder lieben das Jonglieren mit Wörtern, Klangfarben, Rhythmen und Pausen, sie brauchen Gedichte, um ihre Vorstellungen und Phantasien zu beflügeln, ihre Erlebnis- und Verstehensfähigkeit zu intensivieren. In der Praxis sind Gedichte methodisch-didaktisch vielfältig umsetzbar. Über diese Vielfalt erhalten Sie im Folgenden einen Überblick unter der Fragestellung: Wie kommt das Gedicht zum Kind? ▪ Mit akustischen Mitteln - Das Gedicht vortragen, vorlesen, immer wieder vorlesen oder akustisch   gespeichert vorlesen lassen (CD, mp3, etc.) - Das Gedicht bewegungsbetont – mit Gesten/Mimik, Pantomime - vortragen. - Das Gedicht vortragen und Textteile singen          - Das Gedicht auf ein großformatiges Papier abschreiben, aufhängen und „vom Blatt lesen“ - Das Gedicht wiederholt und  mit einem anderen Gestus vortragen - Zusammen mit den Kindern im Kreis sitzen und das Gedicht seiner   Stimmung entsprechend - leise, geheimnisvoll - noch einmal sprechen - Die Kinder einladen und ermuntern, beim Vortrag mitzusprechen - Teile des  Gedichts gemeinsam chorisch sprechen - Das Gedicht mit verteilten Rollen sprechen - Das Gedicht vortragen und akustisch ergänzen durch: Instrumente, Percussion   und Geräusche, die mit dem Körper oder mit Material produziert werden. -  Im Gesprächs- und Gedankenaustausch, im Dialog wird es möglich, dem Gedicht und    Dem, was es mit den Nutzern macht, auf die Spur zu kommen, der Lyrik nachzufühlen    und nachzusinnen.   ▪ Mit visuellen Mitteln - Das Gedicht szenisch lesen - Das Gedicht wird von einem Sprecher vorgetragen und eine oder mehrere   Personen  spielen parallel dazu die Szenen. - Es spricht die: Handpuppe, Stabpuppe, Marionette,  Klappmaulpuppe,   Schattenfigur - Material spricht - Bilder ergänzen den akustischen Vortrag - Das  Gedicht wird in Schriftform präsentiert ( z. B. als laminiertes Tischset für zu Hause)

Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekar_innen. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Britta Teckentrup: Das große Buch der Tiergedichte und Lieder. München: Ars Edition 2022, 320 Seiten | € 28,00 | ab 4

Hörnchen ist ziemlich quirlig und aufgeweckt und mit dem geduldigsten Bär des womöglich allerbesten Waldes eng befreundet. Deswegen leistet es ihm auch sehr gerne Gesellschaft beim Alleinsein.

Hörnchen wohnt in einem Baum, nutzt einen Ast als Leseort, andere zum Frühstücken, Häkeln oder Warten auf Bär, seinen gemütlichen und etwas kauzigen besten Mitabenteurer. Der seufzt zwar manchmal über Hörnchen und seine verrückten Einfälle, ist aber grundsätzlich durch fast nichts zu erschüttern und ist unweit entfernt in einer Höhle zu Hause.

Fast jeden Tag gehen die Zwei zum Nicht-Angeln und alltäglich sind sie unterwegs auf Abenteuer. Dabei lüften sie das Geheimnis des Waldgeistes, experimentieren mit Toastern, erforschen Erdbeben oder überleben einen wilden Sturm. Schlechte Laune wird einfach wegerlebt, gesungen wird im Kaninchenchor, und fühlt Hörnchen sich herausgefordert, hilft Bär und umgekehrt natürlich auch, was allerdings selten vorkommt. In den in kindlicher Leichtigkeit und mit Humor erzählten Abenteuern stecken auch immer wieder sinnfällige  Weisheiten. Wenn etwa Hörnchen hyperaktiv durch den Tag turnt und dann meint: "Manchmal ist es bisschen anstrengend, ich zu sein.“ Die zwanzig  abgeschlossenen Geschichten leben von den herrlich markanten Charakteren und docken eng an den Interessen von Kindern an, was konzentriertes Zuhören fördert und viel spielerische Anschlusskommunikation ermöglicht. Erzählt wird in traditionellem bis heimeligem Ton, mit viel „hui“, was stimmungsvolle  Vorlesefreude garantiert.  Dieses rundum gelungene, humorvoll illustrierte Vorlesebuch, mit Leinenrücken und Lesebändchen ausgestattet, sollte  jedes Kind erlebt haben wenn es die Kita verlässt. 

Der primäre Weg, Kindern Literatur zu vermitteln, ist das Vorlesen. Beim Vorlesen und Betrachten von Büchern wirken Situation, Personen und Text zusammen und konstruieren eine Art Zwischenwelt. Das Vorlesen oder Erzählen hat dabei die Funktion einer Brücke zwischen einer schriftsprachlich festgehaltenen Vorgabe und den zuhörenden Kindern, denen vor allem die mündliche Sprache vertraut ist. Insofern bewegt sich das Vorlesen von Bilderbüchern und Texten zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit und macht Kinder im Kindergartenalter mit dem Lernprozess vertraut, der sie mit dem Eintritt in die Grundschule erwarten wird, dem Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit. Neben dem Elternhaus ist die Kita der zweite zentrale Vorleseort für Kinder. Für die Vorlesestudie 2021 hat die Stiftung Lesen in Kitas bundesweit befragt und  wollte wissen wie das Vorlesen in Kitas verankert ist. Die erfreuliche Nachricht: In 91 % der Kitas erhalten Kinder mindestens einmal am Tag Impulse durch Geschichten. In neun von zehn Kitas ist Vorlesen auch Thema der Elternarbeit. 62% der pädagogischen Fachkräfte sind der Meinung, dass Kindern zu Hause zu wenig vorgelesen wird. 41% der Fachkräfte glauben, dass mehr als einem Drittel der von ihnen betreuten Kinder zu Hause gar nicht vorgelesen wird.

▪ Die Stimme: das Kostüm der Vorleserin Wer eine Geschichte spannend vorlesen will, muss sie kennen. Deshalb: Lesen Sie die Geschichten, die sie vermitteln wollen, erst einmal selbst. Arbeiten Sie immer wieder an der Ausdrucksfähigkeit Ihrer Stimme. Zeigen Sie in Ihrer stimmlichen Gestaltung Engagement und lesen Sie wörtliche Rede mit veränderter Stimme. Damit werden das Wesen und die Emotionen von Hörnchen und Bär oder anderen Handlungsträgern und unterschiedliche Textstimmungen lebendig.  Lautstärke, Tempo und Pausen sind dramaturgische Elemente in der sprachlichen Gestaltung eines Textes. Zum einen erhöht das bei Kindern die Bereitschaft aufmerksam zuzuhören, zum anderen erleben sie ein Lesevorbild, das Sprache prosodisch gestaltet. Auch das ist ein Ziel in der Sprachlichen Bildung und Förderung von Kindern. ▪ Schaukästen mit den Abenteuern von „Hörnchen und Bär“ Die waldigen Freundschafts-Geschichtchen von „Hörnchen und Bär“ bieten Vorleseabenteuer, in denen Kinder ihre alltäglichen Situationen und Wünsche erkennen. Hörnchens teilweise naives und verrücktes Verhalten verschafft Kindern ein gewisses Überlegenheitsgefühl und ist immer wieder Anlass zu Kommentaren, Feststellungen und Gesprächen. Bär, der ausgleichende Ruhepol, sorgt mit seinem vernünftigen Verhalten dafür, dass die Abenteuer nicht im Chaos enden.  Die Erzählungen bringen immer wieder auch andere Tiere ins Spiel,  wie beispielsweise Hettie, eine winzige Zaunkönigin, Hopp, der Laubfrosch, singende Hasen und kellnernde Pinguine, oder den schweigsamen Daniel, ein weiteres Hörnchen. Der Wald mit seinem See, den Bächen, Felsen und Bäumen aller Größen und Arten sorgt für eine sehr atmosphärische Geschichtenkulisse. Mit „Hörnchen und Bär“ erleben Kinder ausgearbeitete Charakterdarsteller, Themen, die sie interessieren, und deshalb arbeiten beim Vorlesen kindliche Fantasie, Empathie und Imagination besonders intensiv. Somit sind das beste Voraussetzungen Leseerfahrungen handlungsorientiert zu gestalten und diese im Gestaltungsprozess zu vertiefen. Unter den zwanzig abgeschlossenen Geschichten wird jedes Kind unschwer seine Lieblingsgeschichte finden, die es in einem Schuhkarton selbst in Szene setzen kann. Dafür taugen sowohl bereits vorhandenes Figurenmaterial und auch Naturmaterialen wie Moos, Steine oder Tannenzweige. Aus Karton lassen sich Figuren selber herstellen und in die Szenerie einfügen. Mit den „Waldbühnen-Schachteln“  wird eine „Hörnchen und Bär Geschichten-Ausstellung“ gezeigt und die Gestalter erzählen dazu Szenen aus ihrer ausgewählten und selbst gestalteten Geschichte.  ▪ Wie „Hörnchen und Bär“ entstand zeigt  Andreas H. Schmachtl in  zwei Filmclips:  https://www.facebook.com/arenaverlagfans/videos/h%C3%B6rnchen-b%C3%A4r/3959963630790043/ https://www.facebook.com/arenaverlagfans/videos/so-entsteht-eine-h%C3%B6rnchen-b%C3%A4r-illustration/572749707445112/

Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Andreas H. Schmachtl: Hörnchen & Bär. Haufenweise echt waldige Abenteuer. Würzburg: Arena 2021,  216 Seiten | € 16,00 | ab 4

Püüüp ist klein, gelb und ein Geräusch mit Problem:  Er weiß nicht zu wem er gehört und hat keine Ahnung was püüüp macht. „Finde es raus, jeder gehört irgendwohin. Finde den Ort, an den du gehörst. Und dann kannst du weiter geräuscheln. So wie ich“ rät ihm Plopp, das Wassertropfengeräusch, das faul in einem Schwimmring im Waschbecken hängt.

Gesagt, getan - der zauselige Püüüp macht sich auf die Suche nach seinem Zuhause.  Auf der Straße landet er im wilden Stadtverkehr, trifft Brumm Brumm, der total auf die Ampel fixiert ist und staunt über die Vielfalt der Geräuschkulisse. Verblüfft hört er die TATÜÜTATAAS, die auf dem Feuerwehrauto heranbrausen und als Quartett ihr ohrenbetäubendes TA TÜÜ TA TAA jaulen. 

Auf der Baustelle trifft er Ratata, der wie besessen auf einem Presslufthammer herumhüpft. Auch er hat keine Ahnung, wer wohl ein püüüp von sich geben könnte. Im Konzertsaal erkennt Püüüp, dass er wohl auch keiner der Orchestertöne ist. Die schweben elegant durch den goldfunkelnden Saal und lassen verlauten, dass Geräusche dort gänzlich unerwünscht sind. Das Roahh im Museum, lässt ihn leider nicht mitmachen. Es gehört zu dem ausgestorbenen Dinosaurierskelett und brüllt nur noch nachts und aus Verbundenheit mit dem alten Urzeittier. Ratter, das taffe lila Geräusch aus dem Supermarkt, hängt über den Rollen des Einkaufswagens und bezeichnet ihn als Knallbirne. Und auch an das hastige Plipp, das auf dem Warenband an der Kasse joggt und jedes Mal mit einem Plipp in die Luft springt  wenn der Kassierer Waren über den Scanner zieht, weiß nicht wo Püüüp hingehört. Im Wald trifft er auf den freundlichen Tschilp und lernt eine Menge Geräusche aus der Natur kennen: Knarz und Knack, Klack, Pock und Raschel, aber auch das besondere Superman-ähnliche Echo, das ewig zwischen Felswänden hin und her fliegt.  Verlassen und entmutigt hockt Püüüp am Meeresstrand, wo wilde Wellen schäumen, landet dann unverhofft auf einer Wiese, wo ein Schlürf an den Trinkbechern der Kinder steht und  das Quietsch an der Schaukel hängt. Er staunt nicht schlecht als er etwas Kleines sieht, nichts hört und plötzlich weiß, zu wem er gehört und wo er zu Hause ist… Der Reiz der Geschichte ist ein doppelter: zum einen die lautmalerische Ebene der Geräusche, zum anderen ihre Umsetzung ins Bild. Die Klanggestalten, die der geräuschsensible Püüüp auf seiner Reise trifft, sind reichlich schräg und skurril. Das visuelle Auslesen der Bilder macht auch deshalb so viel Spaß, weil kaum jemand figürliche Bilder zu Geräuschen im Kopf hat. So lebt das Bilderlesen von der Überraschung, wie beispielsweise der, dass das lila Schlürf lässig am Becherrand lehnt und cool einen Rüssel, ähnlich dem eines Ameisenbärs, in die Luft reckt. Genau so könnte  es aussehen! Wem nach diesem Bilderbuch-Erlebnis geräuschvolles Geschlürfe zu Ohren kommt,  bei dem wird wahrscheinlich ein lila Wesen als Bild im Kopf auftauchen…  Sprechen beginnt mit Hören, deshalb ist die auditive Wahrnehmung ein Bereich, den es zu sensibilisieren gilt. Die Suche von Püüüp nach seiner Herkunft und Zugehörigkeit ist ein wunderbar unterhaltendes und absolut inspirierendes Hör-und Bilderlebnis. Dabei werden Kinder in ihrer auditiven Wahrnehmung angeregt, sich mit Klängen, Geräuschen und Sounds in vielfältiger Art und Weise auseinanderzusetzen, genauer hinzuhören und zu unterscheiden.

Hören verbindet uns mit der Umwelt. Hören ist nicht nur unerlässlich, um sprechen zu lernen, sondern auch, um in die Welt der Phantasie einzutauchen. Geräusche, Klänge, Worte und Musik erregen sinnliche Aufmerksamkeit. Vom Aufhorchen bis zum Zuhören aber ist ein Stück Weg  zu bewältigen. Zuhören, Horchen und Lauschen wollen gekonnt sein. Das Zuhören ist Zeit-geben und ein Grundelement unserer Kommunikation. Im Gespräch mit anderen Menschen ist es erforderlich, sich selbst zurückzunehmen. Zuhören können ermöglicht, an unserer Kultur teilzuhaben, so wie Schreiben und Lesen dies ebenfalls tun. Gründe genug also, den Hörsinn anzuregen, die Kulturtechnik Zuhören zu lehren und zu lernen. Am besten glückt das mit Handlungen und Erlebnissen. Dafür sind kreative und künstlerische Fähigkeiten ins Spiel zu bringen, um Hörangebote, Geräusch- und Klangwelten zu schaffen, die Kinder ganz Ohr werden lassen.

▪ Püüüp im szenischen Hör-Spiel Die Handlung der Erzählung entwickelt sich linear, die Geräuschprotagonisten und Schauplätze werden nacheinander eingeführt: Wiese, Straße, Baustelle, Konzertsaal, Museum, Supermarkt, Kasse, Wald, Felsen, Meer. So kann die textlich doch etwas umfangreiche Geschichte einfach auf mehrere Tage aufgeteilt werden. Beim wiederholten Vorlesen können Kinder miteinbezogen werden und sich selbst als Geräuschemacher erleben. Genauso gut lässt sich die Geschichte ins szenische Spiel umsetzen: die Vorleserin gibt den Text zu Gehör, einige Kinder übernehmen die Rollen der personifizierten Geräusche und produzieren diese. ▪ Geräuschejagd in der Kita Jede Einrichtung hat ihre Geräusche und Töne, also auf zur Geräuschejagd: Gemeinsam wird überlegt, wo im Haus was zu hören ist: die quietschende Gruppentür, das Hämmern an der Werkbank, die singende Nachbargruppe, das Geschirrklappern beim Tischdecken, der einstürzende Turm aus Bauklötzen, die rauschende Toilettenspülung oder der Computersound im Leiterinnenbüro - alles wird hörend wahrgenommen und mit einem Aufnahmegerät festgehalten. Geräusche einzufangen ist eine relativ unspektakuläre, aber erlebenswerte Teilstrecke auf dem Weg, das Zuhören zu lernen. Eine derartige Höraktivierung bringt die Ohren und vieles dazu in Bewegung.   - Wenn die Kinder in zwei Gruppen auf Geräuschejagd gehen, kann jede Gruppe, die Geräusche der anderen erraten. - Die entdeckten Geräusche werden Wesen bildlich in personifizierte umgesetzt. So entsteht ein selbstgemachtes Kitageräusche-Bilderbuch . ▪ Akustisches Kita-Album Klänge, Geräusche, Worte können auch den Jahresablauf in der Einrichtung   dokumentieren: wenn die Stimme des Nikolaus zu hören ist, die Originalgeräusche der großen sommerlichen Wasserplanscherei, dazwischen die Osterlieder oder Gesprächsfetzen vom Ausflug in den Wald, dann sind das  Klänge, die Erinnerungen aktivieren. Das akustische Album ist ein hochkarätiger Garant für Kommunikation unter Kindern. Solche Aufnahmen werden immer wieder angehört und geben Anlass zu Kommentaren, Feststellungen und Gesprächen. ▪ Geräuscheraten Hinter einem großen Tuch verborgen stehen eine Geräuschehexe und ein Klangzauberer. Sie haben etwa 20 Gegenstände, die Geräusche und Klänge von sich geben: Glockenspiel, Würfel, Pfeife, Glöckchen, ein brummender Teddybär, Wecker und ähnliches. Nacheinander - mit genügend langen Pausen - werden die Gegenstände hörbar gemacht. Die anderen Kinder, die vor dem Tuch sitzen, erraten das Gehörte. Danach schauen sich alle gemeinsam die Geräuschequellen an und besprechen, was tief oder hoch klingt, was leise, was laut zu hören ist: ein einfaches - und mit der Zeit für die Kinder auch selber inszenierbares -  Hör-Spiel, bei dem sie eine momentweise völlige Aufmerksamkeit und Konzentration auf Geräusch- und Klangmaterial entwickeln können. ▪ Der Trailer zum Bilderbuch  https://www.youtube.com/watch?v=1AOx0qonO48

Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Bernhard Hoëcker / Eva von Mühlenfels / Nicolai Renger: Was macht Püüüp?  Stuttgart: Thienemann-Esslinger 2021,  32 Seiten | € 14,00 | ab 4

Das alljährlich wiederkehrende Ritual des Geburtstagsfeierns ist für Kinder außerordentlich bedeutend und für den kleinen Bären ist das nicht anders. Sein Freund Schweinchen fühlt und weiß das und beschließt, für die Feier einen Kuchen zu backen. 

Es sucht erst einmal alle Zutaten. Mit viel Hingabe und Backlust rührt er alles zusammen, was da so in einen Kuchen gehört. Die gefüllte Kuchenform wird in den heißen Backofen geschoben und Schweinchen setzt sich hochzufrieden daneben. Mit Gemütsruhe und sichtlichem Behagen wartet es, bis der Kuchen fertig ist. Erdbeeren kommen noch drauf, und gerade wie Schweinchen die Sahne auf den Kuchen spritzt schaut der Hase vorbei. Begeistert bietet der sich als Sahnetester an, weil man ja schließlich insbesondere bei einem Geschenk wissen muss, ob es auch schmeckt...  Zu den emsig immer weiter kostenden Kuchenessern stößt dann auch noch Freundin Ente. Zum Probieren lässt sie sich nicht zweimal auffordern und schnabelt sich, sehr angetan, durch die Sahnetupfer. So wird eifrig gekostet, geprüft und getestet, als plötzlich das Geburtstagskind kleiner Bär da steht. Fasziniert hört er zu, wie die drei ihm den Originalzustand der Torte beschreiben - denn schließlich war sie einmal ein großes Ganzes.  Es schmälert seine Freude keinen Deut, als er erfährt, dass das seine Geburtstagstorte ist, die da bereits deutlich dezimiert vor ihm steht. Begeistert lässt er sich beschreiben, wie wunderbar der Kuchen schmeckt. Strahlend beißt der Bär in ein großes Stück Geburtstagskuchen und ist sich sehr sicher, dass er so etwas köstliches noch nie gegessen hat.  Gemeinsam wollen sie nun feiern und schmausen und ziehen mit der Torte in den Garten um. Dort hocken sie, genießen ihr Festmahl und spielen, schwatzen und singen den ganzen Nachmittag. Erst als die Sonne untergeht, umarmt der Bär zutiefst erfüllt seine Freunde und verabschiedet sie. Auf dem Heimweg hält er überglücklich sein Fähnchen in den Wind und sinniert über die herrliche Torte samt Erdbeeren und Schlagsahne.  Dass er heute den allerschönsten Geburtstag seines Bärenlebens gefeiert hat, das fühlt er, als er in seinem Bett liegt und der Mond auf seine Decke scheint... Eine zutiefst liebevoller Klassiker übers Freunde Sein, Feiern und die Daseinsfreude mit einem traditionsverdächtigen Geburtstagstorten-Rezept.

▪ Zur Gestaltung von Text und Bild Die Handlung der Erzählung entwickelt sich linear, die Protagonisten werden nacheinander eingeführt. So können bereits Dreijährige und Kinder, die Deutsch als Zweitsprache erwerben, diese Geschichte leicht nachvollziehen. Der übersichtliche Bildaufbau und die klar konturierten Abbildungen tragen dazu ebenfalls bei. Die Tiere sind leicht naiv gezeichnet, ohne ins Betuliche abzugleiten. Vielmehr unterstreicht dieser Stil das kindliche Verhalten des liebenswürdigen tierischen Quartetts, das so gelassen und harmonisch agiert. Max Felthuijs erzählt diese Geschichte nicht ohne Augenzwinkern und beschreibt trefflich, wie riesengroß die kindliche Lust ist, Leckereien sofort probieren zu möchten. Wie mühsam es werden kann, auf den Zeitpunkt zu warten, an dem lukullische Köstlichkeiten freigegeben werden, erleben Betrachtende und Zuhörende hautnah mit.  ▪ Zur Bedeutung des Geburtstags In Kindergruppen sind jährlich etliche Geburtstage zu feiern. Einerseits ist die Dichte des Feierns eine immer wiederkehrende Herausforderung für die Begeisterungsfähigkeit der pädagogischen Fachkräfte, andererseits aber auch eine Chance für Rituale. Und gelebte und erlebte Gepflogenheiten sind besonders geeignet, um bei Kindern später immer wieder schöne Erinnerungen an die Zeit in der Kita wachzurufen. Der eigene Geburtstag ist ein wichtiger Höhepunkt im Jahreslauf und wird von jedem Kind meist sehnsüchtig erwartet. Die in unserer Kultur weit verbreitete Festgestaltung mit Kerzen, Blumen, Kuchen und Geburtstagslied zeigt dem Geburtstagskind, dass es heute besonders wichtig ist und dass man sich über sein Dasein freut. Das oft gesungenes Geburtstagslied: "Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst..." bekräftigt das explizit. Für kleinere Kinder ist es wohltuend, wenn die Feier jedes Jahr ähnlich abläuft. So wie der kleine Bär sich riesig über die Aufmerksamkeit seiner Freunde freut und beim Zubettgehen ganz erfüllt von seinem Ehrentag ist: solche Gefühle wünscht sich jedes Kind auch für den eigenen Geburtstag. 

▪ Die Bären-Geburtstagstorte selber backen In Gesprächen mit den erwachsenen Bezugspersonen der Kinder kann die Geschichte ein trefflicher Aufhänger sein, über Rituale für einen lebendigen Jahresablauf ins Gespräch zu kommen. Und wer beim Lesen selbst Lust auf Süßes bekommen hat, findet im Buch das Rezept für die original-Bären-Geburtstagstorte.  Wird diese Geburtstagstorte mit den Kindern gebacken, können sich die Eltern überzeugen, dass dieser Kuchen genauso gut schmeckt, wie er problemlos zu machen ist.  Und das Rezept ist so simpel, dass vielleicht selbst Erwachsene, die am Geburtstag ihrer Kinder normalerweise mit Fertig-Kuchen in der Einrichtung eintrudeln, die Schürze umbinden und selber mal zum Rührlöffel greifen... ▪ Torten produzieren, ohne zu backen - Runde Keksdosen können in eine Geburtstagstorte verwandelt werden. Für eine mehrstöckige Torte ist nur wichtig, dass die Größen der Dosen unterschiedlich sind, da diese aufeinander gestellt werden. - Mit Pappe, Papier, Schleifen und vielen anderen Deko-Materialien werden "dauerhafte Kuchen" für mögliche Feste geschaffen: für ein Ritterfest, ein Hochzeitsfest, eine Gespenster-Party etc. Vielleicht gibt es eine Torten-Ausstellung?  - Auf einem rund ausgeschnittenen Papier werden unterschiedliche Kuchendekorationen mit unterschiedlichen Materialien, wie beispielsweise Muggelsteinen, erprobt. Für den nächsten Geburtstag werden "Bärenfahnen" kreiert. ▪ Die Umsetzung in ein Laufbilderbuch Satte Farben leuchten aus den nahezu gleichgroßen Bildszenen. Diese Voraussetzung und auch die günstige Größe  bieten an, aus den fotokopierten Bildern ein Laufbilderbuch zu gestalten. Dafür werden die Fotokopien so aufgehängt, dass die Kinder die Geschichte ablaufen und dabei sprachlich rekonstruieren können. 

Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Max Velthuijs: Eine Geburtstagstorte für den kleinen Bären Zürich: NordSüd 2021,  32 Seiten | € 15,00 | ab 4

Am Winterhimmel, in einer Winternacht kam sie zur Welt, die kleine Schneeflocke. Jubelnd und jauchzend tanzt sie hin und her und beginnt hinab zu sinken. Nur, genau das will sie im Grunde ihres Herzens nicht, und so dreht sie sich weiter kreiselnd und schwebend am Himmel.

Wie sie über Berge und Flüsse treibt, entdeckt sie unten im Tal eine kleine Stadt, die ihr gefällt und in der sie ihr Glück versuchen möchte. Aber die Landung will nicht recht glücken, da der Wind sie immer weiter treibt. So gleitet sie an vielen erleuchteten Fenstern vorbei, als sie plötzlich einen wunderschön verzierten im Lichterglanz erstrahlenden Tannenbaum erblickt. Wie gerne wäre sie der Stern auf seiner Spitze. Auch Noëlle, die mit ihrem Opa unterwegs ist, bewundert diesen Baum. Sehnlichst wünscht sie sich ein Weihnachtsfest mit einem lichterglänzenden geschmückten Weihnachtsbaum.  Ihr aber muss ein kleiner Tannenzweig genügen, den sie auf dem Nachhauseweg findet. Zusammen mit ihrem Opa bastelt sie den Schmuck für ihre kleine Ersatztanne und stellt diese nach draußen. Wie sie es so durchs Fenster betrachtet, hat sie das untrügliche Gefühl, dass ihrem Tännchen etwas Wichtiges fehlt. Nur was? Am nächsten Morgen ist die Welt ganz ruhig und leise – es hat geschneit. Noëlle blickt staunend ins Winterweiß und entdeckt, oben auf der Tannenspitze,  die kleine Schneeflocke. Stolz und glücklich sitzt diese auf Noëlles Tanne, dem schönsten Landeplatz, den sich ein kleiner flockiger Schneestern wohl wünschen kann…

Benji Davies erzählt seine atmosphärisch dichte Geschichte in stimmungsvollen Bildern. Schattierungen von Blau- und Grautönen dominieren in der Reise und den Tänzen der Schneeflocke und schaffen spannungsreiche Kontraste von Licht und Dunkelheit. Sobald Noëlle und ihre Familie ins Bild kommen, dominieren kräftige satte Farben. Das Seitenlayout besticht durch seine Vielfalt und die großformatigen doppelseitigen Abbildungen von Landschaft, Stadtansichten und der langen Reise der kleinen Schneeflocke. Die Rahmenhandlung der Geschichte erzählt von der Herausforderung der kleinen Schneeflocke, ihren Platz in der Welt zu finden.  Die Binnengeschichte beleuchtet die Lebenssituation des Mädchens Noëlle,  ihre Gefühle und ihre Wünsche, die durch eine offensichtlich bescheiden ausgestattete familiäre Lebenssituation, nicht immer erfüllbar sind. Die geglückte Verbindung der beiden Stränge bindet die Leserinnen und Leser emotional mit ein und regt auch zu eigenen Sichtweisen und Betrachtungen der Weihnachtszeit an. Die wunderschöne und poetische Geschichte rückt die Weihnachtsbotschaft unverbraucht und magisch ins Bild. Sie lässt wissen und erspüren, dass das Weihnachtsfest weder  Konsum noch Prunk braucht, sondern ein freudiges Miteinander und Geben, das von Herzen kommt.   Schneeflocken als Glücksgefühl „Wir haben nur diesen einen Augenblick, strahlend wie ein Stern in unserer Hand und dahinschmelzend wie eine Schneeflocke“. Dieses Zitat von Sir Francis Bacon stellt Benji Davies seiner Wintergeschichte voran, die er seinem Vater widmet. Schnee ist der Inbegriff des Winters und zeigt sich in gegensätzlicher Weise: Er richtet Chaos an und er bringt Schönheit: Schnee erhellt graue triste Wintertage, dämpft und verlangsamt die Welt. Psychologisch ist belegt, dass nicht nur verschneite Landschaften, sondern selbst die symmetrische Struktur der Schneekristalle den Menschen in seiner Vorliebe für Ebenmaß beruhigen. Das kalte Element Schnee schürt Emotionen und in der Beurteilung aktueller winterlicher Wetterlagen stellt sich oft die Frage, ob wir es mit den Folgen der Klimaveränderung oder verklärter und verschleierter Erinnerung zu tun haben. Nahezu jeder Erwachsene glaubt sich zu erinnern, dass es früher häufiger und intensiver geschneit hat. Psychologisch ist das erklärbar: diese Legende lebt vor allem von glücklichen und unvergesslichen Kindheitserlebnissen.

Schnee-Physik Wenn aus einer Wolke Wassertröpfchen als Kristalle zur Erde sinken, verzahnen sie sich und bilden so eine Schneeflocke. Schneeflocken bestehen aus feinen Kristallen, die wie Plättchen, Nadeln, Säulen oder Sterne aussehen und zeigen häufig eine sechsfache Symmetrie. Die Form des Kristalls hängt hauptsächlich von der Temperatur sowie von der Luftfeuchtigkeit in der Wolke ab. Und wie im Bilderbuch gleicht auch in der Natur keine Schneeflocke, der anderen: Jede hat ihre individuelle Form. Schneeflocken enthalten 95% Luft und schweben deswegen langsam, mit nur 0,5 Metern in der Sekunde. In der verästelten Struktur des Neuschnees bricht das Sonnenlicht wie in unzähligen kleinen Spiegeln. Auf der folgenden Bildtafel befinden sich Variationen sternförmiger Schneekristalle, fotografiert von Wilson Bentley.

“Es schien mir eine Schande, dass diese Schönheit nicht von anderen bewundert werden sollte”, schrieb er 1925. Und so ging der amerikanische Farmer jahrzehntelang mit einem Tablett auf Flockenjagd, sortierte die “Meisterstücke” aus und fotografierte sie unter dem Mikroobjektiv. Mehr als 2000 Aufnahmen sind in seinem Buch “Snow Crystals” veröffentlicht.

Gespiegelte Schneeflocken Eine wunderbare kaleidoskopartige Sichtweise kann mit Abbildungen von Schneeflocken erlebt werden, die sich in einem selbsthergestellten Klappspiegel mehrfach spiegeln, sodass faszinierende Muster sichtbar werden.   Zwei Spiegelkacheln werden mit einem Klebstreifen zu einem beweglichen, („buchartigen“) Doppelspiegel zusammengeklebt, so dass die Spiegelflächen die inneren Seiten ausmachen.  - Eine quadratische Abbildung eines Schneekristalls wird ausgeschnitten und zwischen den aufgeklappten Doppelspiegel gelegt. So entstehen mehrere Spiegelbilder. Im Netz sind viele Abbildungen von Schneekristallen zu finden, die Kinder auch anregen können, ihren eigenen „Schneestern“ zu zeichnen. Steht der Klappspiegel im 90°-Winkel, entstehen 3 perfekte Spiegelbilder, im 60°-Winkel sind es 5 perfekte Spiegelbilder.   Schneeflöckchen, Weißröckchen Das schönste aller Winterlieder, geschrieben 1869 von der Breslauer Kindergärtnerin und späteren Lehrerin Hedwig Haberkern (1837–1902), bringt in seinem Text den Kern der im Buch erzählten Geschichte mit wenig Worten auf den Punkt:   Schneeflöckchen, Weißröckchen, wann kommst du geschneit? Du wohnst in den Wolken, dein Weg ist so weit.   Komm setz dich ans Fenster, du lieblicher Stern, malst Blumen und Blätter, wir haben dich gern. Zum Anhören: https://www.youtube.com/watch?v=Ca7xgHexwSA   Schneeflocken-Lyrik Schneeflocken Wende ich den Kopf nach oben: Wie die weißen Flocken fliegen, Fühle ich mich selbst gehoben Und im Wirbeltanze wiegen.   Dicht und dichter das Gewimmel Eine Flocke bin auch ich. Wie viele Flocken braucht der Himmel, Eh die Erde langsam sich Weiß umhüllt? Alfred Hensche (1890-1926)

Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Benji Davies: Kleine Schneeflocke Stuttgart: Aladin 2021, 32 Seiten | € 15,00 | ab 4

In der Entwicklungsphase, in der Kinder gerne Reimen zuhören, Verse nach- und mitsprechen, wird ihr Gehör sensibilisiert für die Klanggestalt der Sprache. Diese Klanggestalt wird später beim eigenen Lesen zur inneren Sprache. Und diese erzeugt in uns die Vorstellungskraft, die Texte beim Hören oder Lesen lebendig werden lässt.

Insbesondere Kinder, die noch keine Schriftzeichen dechiffrieren können, leben in einer stark mündlich geprägten Kultur – und Reime, Gedichte und Fingerspiele sind zum Sprechen da. Wiederkehrende Reime und Rhythmen empfindet ein Kind als Zuwendung und Bestätigung. Sein intensives Bedürfnis nachzuahmen ist der Motor, die Sprache zu erlernen und auch seinen Körper zu beherrschen, Gefühle zu äußern und zu kommunizieren. Somit bieten sich rhythmische Spiel- und Sprechverse im Kontext der Sprachförderung besonders an, da eine Einheit von Handeln und Sprechen gefordert ist, die dem Kind zu einer authentischen Aussprache verhilft. Die große Rhythmikerin Wilma Ellersiek, 1921 – 2007, war viele Jahre Professorin für Rhythmik, Schauspiel und gesprochenes Wort an der Hochschule für Musik in Stuttgart. In ihrer Arbeit widmete sie sich insbesondere der Wirkung von Rhythmus auf das Kind im Vorschulalter. Mit großer Sorgfalt und Intuition erarbeitete sie zahlreiche Finger- und Handgestenspiele in gereimter Sprache, durchwoben von Rhythmus und Musik. Eine Auswahl ihrer künstlerisch geprägten Sprachgebilde  bietet der Band  „Die tanzende, spielende Hand“. Dessen Finger- und Handgestenspiele vermitteln, wie die Bewegungen der Hände, Fäuste, Daumen und Zeigefinger das aktiven und rhythmisch klangvollen Sprechen anregen und herausfordern. Die Spiele, deren Schwerpunkt in der reinen Bewegungsfreude liegen, machen die Urgebärden der Sprache als reines Klangerlebnis erfahrbar. Bei „Flap und Flop“ handelt es sich um die zwei tanzenden Daumen, „Molle-Mulle“ spielt klangvoll mit Silben und Fäusten, während mit „Pöm und Pam“ ein kleines Abenteuer  intensiv bewegt erlebt wird. Damit das gelingt, finden sich zu jedem Text bestens verständliche Bewegungsanleitungen, die mit detaillierten Zeichnungen unterstützend visualisiert sind. Da jedes Handgesten- und Fingerspiel von Wilma Ellersiek ein kleines Kunstwerk ist, das Bewegung, Sprache und Musik vereint, regen Zunge und Hände das kindliche Sprachzentrum im Gehirn mächtig an. Weil Kinder es ungemein lieben, Sprache und Rhythmus so bewegt zu erleben, sind die Sprachgebilde von Wilma Ellersiek eine betont humane und sehr freudvolle  Form, die Sprachentwicklung  zu begleiten und zu fördern. Dass Wilma Ellersieks Sprachschätze denen, die sie vermitteln und mit Kindern erleben dürfen, einiges Lernen abverlangen, das ist gut so. Wer sprachliche Bildung ernst nimmt und engagiert angeht, erlebt sich sicherlich auch gerne selbst als lernendes Individuum. Und ansonsten gilt das alte Sprichwort. „Übung macht den Meister“. Dabei hilft die gleichnamige DVD weiter. Für das learning bei doing sind die Hand- und Fingerspiele detailgenau filmisch dokumentiert: sowohl frontal als auch von der Seite. Diese aufwendige Verfilmung erleichtert und unterstützt dabei, sich in diese Sprachkunst einzuleben. Ein wunderbares Werk, das dafür Sorge trägt, dass Kinder Sprache ungemein klanglustig und ausdrucksvoll erleben  - und das ist eine bedeutende Motivation für ihre Sprachentwicklung.

Für Kinder, die Deutsch als Zweitsprache lernen, sind Reime und Verse eine besondere Stimulanz. Mit ihren ausgeprägt klanglichen Strukturen wecken sie die Lust der Kinder, ihren deutschen Wortschatz auszubauen. Sprachen unterscheiden sich in ihrer Sprachmelodie. Kinder, die Deutsch als Zweitsprache erwerben, brauchen Verse und Gedichte, um die rhythmischen und prosodischen Muster der deutschen Sprache zu erkennen. Mit der Sprache zu spielen macht Spaß; die Rhythmen und Laute werden lustvoll und positiv erfahren und ermöglichen Kindern spontane Erlebnisse mit grundlegenden Strukturen ihrer Zweitsprache. Folgende Anregungen geben einen Eindruck in die Arbeit mit den Texten von Wilma Ellersiek: Die kleinen Abenteuer von „Pöm und Pam“ sind ein Fingerspiel mit umfangreichem Text. Es lohnt sich, dieses rhythmisierte, vom Einsatz der Fäuste geprägte Gestenspiel zu erarbeiten. Wer es frei sprechen kann und sich den Ablauf der Bewegungen eingeprägt hat, ist im Besitz eines rhythmisch und klangvollen Spiels mit der Sprache – eines das Kinder fasziniert, herausfordert und gleichzeitig viel Spaß erleben lässt.   Pöm und Pam, die beiden, mögen sich gern leiden! Pöm und Pam, die wandern, wandern einer mit dem andern, in die Welt hinaus. Kehren um und wandern, wandern, einer mit dem andern, zurück, zurück nach Haus und ruh‘n ein Weilchen aus. Jetzt springen sie. Seht nur, wie: Pöm über Pam, Pam über Pöm. Pöm über Pam, Pam über Pöm. Pöm – Pam – Pöm – Pam und hopp und hopp und hopp und stopp! Noch einmal hin und her, ….

Das komplette Handgestenspiel können Sie hier auf Youtube sehen und hören

In der Ende 2020 erschienen englischsprachigen Sonderausgabe der Zeitschrift „erziehungskunst frühe kindheit“ finden Sie den Text zum Handgestenspiel „Pöm und Pam“ in acht verschiedenen Sprachen: englisch, deutsch, russisch, kroatisch, französisch, koreanisch, polnisch und spanisch.

Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Wilma Ellersiek, Herausgegeben von Jacqueline Walter, Ingrid Weidenfeld: Die tanzende, spielende Hand. Rhythmisch-musikalische Hand- und Fingerspiele. Stuttgart 2021, 103 Seiten | € 23,00 | DVD | € 20,00

Ziemlich beste Freunde sind sie,  Eichhörnchen und Panda. Zwei, deren Freundschaft darauf beruht, dass man sich gern hat und dass Gefühle in der Beziehung eine große Rolle spielen.

Ihre tiefe gegenseitige Zuneigung lässt ihnen Raum für unterschiedliche Sichtweisen und ist die sichere Basis, auf der sie auch Konflikte und Widersprüche leben können. So heißt es einmal: »Du darfst mich immer stören, Eichhörnchen«, sagt Panda. – »Auch wenn du so brüllst, Panda?« – »Wenn ich brülle, wenn ich schweige, wenn ich schimpfe, wenn ich schnarche. Immer!«  Freundschaft beruht eben zumindest zu einem bestimmten Maß auf Gegenseitigkeit… Die Erlebnisse und auch die Fragen, die sich die Protagonisten stellen, enthalten grandiose Perspektiven und regen zum gemeinsamen Nachdenken und Nachfühlen an. Als gute Freunde sind sich Panda und Eichhörnchen meist einig, was allerdings nicht ausschließt, dass sie immer wieder mit dem gemeinsamen Aushandeln dessen, was richtig oder gerecht ist, beschäftigt sind:  Panda will Eichhorn nicht suchen, weil der kleiner ist und sich viel besser verstecken kann. Eichhorn will nicht spielen, wer am lautesten brüllen kann, weil Panda groß und dick ist und lauter brüllen kann.  Derlei Situationen aber lösen die Freunde dank ihrer felsenfesten Zuneigung. Und diese in den Worten spürbare Zuneigung ist es wohl auch, die die Zuhörenden tief in die Geschichten hineinzieht, die mit charmanter kindlicher Weltsicht vom Spielen und vom Streiten, vom Mond und der Langeweile, von einer Reise, die nur zwei Schritte dauert, oder von Tweetie, dem frisch geschlüpften Entchen erzählen.

Kinder brauchen Magie und Phantasie und ganz eigene Symbole, um auf einer verlässlichen Basis Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl zu entwickeln. In den Geschichten von Eichhörnchen und Panda pflegt der flämische Erzähler Ed Franck eine ebenso einfache wie magische und kindgerechte Art des Erzählens. Diese konnte er finden, weil er es versteht, sich auf kindliche Phantasien einzulassen. Wie großartig, dass Thé Tjong-Khing die Welt von Panda und Eichhörnchen in seinen Bildern so ausdrucksstark in Szene gesetzt hat, dass sie die Imaginationskraft von Kindern lustbetont anregen und uns Erwachsene an der Welt kindlicher Wünsche und Vorstellungen teilhaben lassen. Ein rundum literarischer Glücksfall, der dafür sorgt, dass Kinder das Suchen und Finden der eigenen Person in den handelnden Figuren der Geschichten leicht fällt und sie in ihrer Selbstfindung weiterbringt.

Zum Leser wird man nicht von allein: Sprache und der erste Zugang zur Literatur entfalten sich durch die Nähe zu Erwachsenen. Die Begleitung von kompetenten Anderen, die das Le-sen anregen – indem sie als Lesevorbilder, als Gesprächspartner und -partnerinnen und damit als Türöffner in die Welt der Schriftsprache auftreten –, entscheidet über diese Entwicklung. Dass Kinder ins Lesen hineinwachsen bildet die Basis dafür, dass sie später selbst lesen, Lese-freude und Lesemotivation entwickeln. Die Forschung zur Lesesozialisation geht davon aus, dass der Aufbau der schriftsprachlichen Kompetenzen zu einem großen Teil darauf beruht, wie routiniert und verlässlich Kinder und Erwachsene Buchkultur gemeinsam gelebt und erlebt haben. Wesentlich geprägt wird die zukünftige Lesekompetenz davon, wie oft und wie intensiv das Kind mit nahestehenden Bezugspersonen Zeit mit Büchern und Vorlesen verbracht hat. Vorlesen als Akt der Nähe, in dem sich Sprache, gemeinsam gestaltete Zeit und Lesefreude spiegeln, ist beste Erziehungs- und Bildungszeit. Die Lust zu Lesen entsteht also Schritt für Schritt: Wer früh vorgelesen bekommt, entwickelt eine höhere Motivation, bald auch selbständig zum Buch zu greifen.

„Vorlesen ist die Mutter des Lesens.“ Johann Wolfgang Goethe bringt es mit seiner Aussage auf den Punkt. Die Geschichten von Panda und Eichhörnchen sind wunderbarer Vorlesestoff,  der die kindliche Sicht der Dinge und spannende Dialoge anregt: „Was könnten Panda und Eichhorn noch versuchen, um den Mond zu pflücken? Welche Formen kann der Mond denn haben? Wer ist dein Freund? Warum wollen wir Menschen einen Freund/eine Freundin haben? Sollen wir dem Mond eine Rutschbahn bauen, dann kann er uns besuchen kommen…?“ Zudem gibt es zu jeder Geschichte reichlich handlungsorientierte Anschlusskommunikation, wie die folgenden Beispiele zur titelgebenden Geschichte zeigen:

Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Ed Franck / Thé Tjong-Khing: Den Mond vom Himmel pflücken. Geschichten von Panda und Eichhorn. Frankfurt: Moritz 2021, 56 Seiten | € 14,00 | ab 5

Jedes Fest entspringt aus einer Sehnsucht und ruft Sehnsüchte wach. Wenn es gelingt, schießt es so zu sagen über den Alltag hinaus. Im Jahreslauf reihen sich die Feste auf wie die Perlen einer Silberkette. Und dazu kommen noch - von der Wiege bis zur Bahre  -  die Meilensteine und Wendepunkte im Lebenslauf jedes Menschen, die von Festen, Sitten und Gebräuchen geformt werden.

Feste haben Aufgaben und Hintersinn: sie gliedern das Jahr und deshalb findet „vom Frühling bis zum Winter in jeder erdenklichen Ecke der Welt ein Fest statt.“ „Wir feiern“ ist ein international ausgerichtetes Buch, das 100 witzige und wichtige Feste aus der ganzen Welt versammelt und ihre Hintergründe und Traditionen beleuchtet.  Dabei geht es weit über religiös veranlasste Feste wie Ostern, Weihnachten oder Ramadan hinaus. Denn es werden sowohl kulturelle Feiertage wie der „Weltfrauentag“ vorgestellt als auch solche mit politischen Wurzeln wie der „Martin Luther King Jr. Day“ an dem weltweit seinem Wunsch nach einer gleichberechtigten und freiheitlichen Gesellschaft erinnert und gedacht wird. Die jahreszeitliche Gliederung des Buchs macht Sinn, denn Frühling, Sommer, Herbst und Winter geben weltweit Anlass, Menschen zusammen zu bringen, zu feiern und damit das immer Wiederkehrende im Alltag zu unterbrechen. Nicht nur zeitlich, sondern beispielsweise auch in der Ernährung. Feier- und Festtage bieten oft intensive Gaumenfreuden und speziell dafür Zubereitetes; von bunten Ostereiern über leckere Zwiebel-Snacks, bis hin zu Safranbrot und Ingwerkeksen -  je nach Region und Gepflogenheit. Der Baumfesttag in den Niederlanden, das chinesische Eis- und Schneefestival in Harbin oder das Kirschblütenfest in Japan – weltweit stehen viele Feste auch in direkter Beziehung zur Natur. Selbst wenn diese heute nicht überall so intensiv wie früher erlebt werden kann, brauchen wir die Freude und die Form der Selbstbestärkung, die in Bräuchen und Ritualen steckt. Auch wer keine Kirschen erntet, sondern diese auf dem Markt kauft, möchte das Kirschblütenfest  feiern. Das Bedürfnis, den Alltag außen vor zu lassen, Höhepunkte zu markieren, und in der Familie, im Freundes- oder weiteren Kreis Anlässe zum Fest werden zu lassen, wird nicht dadurch beeinträchtigt oder vergessen, dass man mit dem eigentlichen Festursprung nicht mehr unmittelbar verbunden ist. Claire Crace vermittelt uns auch außergewöhnliche Rituale wie der schweizerischen Almabtrieb oder skurrile Traditionen wie ein festliches Menü, das in der thailändischen Stadt Lopburri für die dort lebenden und angeblich glücksbringenden Affen ausgerichtet wird.

Der Illustrator Christopher Corr beschreibt seinen Zeichenstil als bunt, fröhlich. Er möchte „unsere Welt, ihre Menschen und Tiere feiern und unsere Geschichten teilen.“ Dass ihm dies mit seinen kreativen Illustrationen gelungen ist, lässt sich auf jeder Seite eindrücklich erleben. „Wir feiern“ ist ein Buch, das weltoffen vermittelt wie Feste rund um den Globus gelebt und gefeiert werden. Es zeigt Kindern und Erwachsenen kulturelle Vielfalt aus aller Welt und vermittelt eindrücklich, dass die Lust am Feste feiern die Menschheit verbindet.

Feste, die öffentlich gefeiert werden, gehören seit jeher zur Kultur des Menschen. Dorffeste, Kirchweih und Kirmes, aber auch jahreszeitliche Angelpunkte wie Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen waren immer schon Treffpunkt und Tummelplatz für viel Volk. Seit altersher haben auch Spiele eine Rolle in der Gestaltung von Feierlichkeiten gehabt. Nicht selten, um böse Geister zu irritieren oder abzuhalten. Überreste solcher Vorstellungen sind in manchen Reigen- und Kreisspielen zu erspüren. Vieles, mit dem wir festliche Tage gestalten, hat einen alten magischen Ursprung. Geburtstagsfeste und Einladungen entstanden als Schutzgesten und aus dem Sicherheitsbedürfnis für das neue Lebensjahr. Man gratuliert sich, weil man in alten Zeiten glaubte, dass sich die bösen Geister besonders leicht über einen Menschen hermachen, wenn der ungeschützt zwischen den Lebensjahren steht. Dass dagegen hilft, viele Menschen um sich zu scharen, mit denen zusammen zu sein, die einem behüten, liegt doch nahe. Solche Auffassungen und Blickwinkel wieder zu bedenken und zu betrachten hat seinen Reiz. Manches Ritual, das mitunter etwas leblos und eintönig erscheinen mag, sieht man so in  neuem Licht. Auch die Motivation, eigenes zur Fest- und Feiergestaltung zu ersinnen und zu pflegen, kann dadurch beflügelt werden.

Die menschliche Psyche liebt das Ritual und lebt nur ungern ohne es. Rituale, Symbole und Gebräuche prägen Feste, das heißt nun aber wiederum nicht, dass diese immer nach dem gleichen Muster ablaufen müssen. Nicht bei jedem Fastnachtfest müssen die Kinder geschminkt werden. Nicht jedes Sommerfest braucht Väter am Grill, die Kuchentheke der Mütter oder die Bewegungsbaustelle für die Kinder. Zuviel Routine kann Fest- und Feierlust töten wie zu viel Festangebote. Wer nach Ostern bereits in Gedanken über das Abschiedsfest für die Schulanfänger stöhnt, kann wahrscheinlich nicht mit Vorfreude kreativ und organisatorisch tätig werden.

Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Claire Grace / Christopher Corr: Wir feiern! Ein Jahr, viele bunte Feste Leipzig: EA Seemanns Bilderbande, 2021, 128 Seiten| € 22,00 | Für Alle und Kinder ab 5

In der aktuellen Auseinandersetzung um Inklusion und Diversität geht es darum, allen Menschen eine uneingeschränkte Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft zu ermöglichen und jegliche Form von Diskriminierung oder des „an den Rand Drängens“ von Menschen aufgrund von zugeschriebenen Merkmalen zu verhindern. 

Dafür braucht es Impulse, die Kinder und Erwachsene zum Wahrnehmen und Nachdenken, zum Mitfühlen und sich darüber austauschen anregen. Bilderbücher haben diese Kraft, und geben Impulse, wenn sie Inklusion und Diversität vielfältig und ohne Klischees und stereotype Illustrationen sichtbar werden lassen.  Ein solches Buch hat Constanze von Kitzing mit Ihrem „Ich bin anders als du - Ich bin wie du“ geschaffen. Bereits vor zwei Jahren ist es als Pappbilderbuch im quadratischen Format erschienen. In der neuen, großformatig gebundenen Ausgabe zeigt es sich nicht nur als Wendebuch, sondern erzählt in ausführlichen Texten über die Vorlieben, Eigenheiten und das Dasein der Kinder und Menschen die wir kennen lernen: Mila beispielsweise trägt ein Hörgerät, denn sie ist schwerhörig.

Sie lernt die Gebärdensprache und ihre Lieblingstiere sind Pferde, Meerschweinchen und Delphine. Ihr Zuhause teilt sie mit sechs Geschwistern und gern hätte sie ein Haustier. Leider gibt es dafür keinen Platz, aber vielleicht wird sie mal Tierärztin werden. Ihre Schulfreundin Nura mag Elefanten und zeichnet sie auch gerne. Zusammen mit  Oskar, der in der Kita Kunterbunt ist, malen sie rechts- und linkshändig riesige Elefanten an eine Wand. Oskars Papa arbeitet übrigens als Erzieher in der Kita Zwergenmütze und kommt mit Kindern aus seiner Kita für ein Fußball-Turnier zu Besuch in Oskars Kita… Was verbindet oder unterscheidet ist in diesem Buch nicht unbedingt auf den ersten Blick zu erfassen. Die Bilder von Constanze von Kitzing spielen mit den Gedanken der Betrachtenden und überraschen diese dann, indem sie das Offensichtliche unterlaufen.

Sergej und Lilli verbindet nicht ihre augenscheinlich lockigen Haare oder ihr Pausenbrot, sondern, wie wir nach dem Umblättern feststellen können, etwas ganz anderes. So erfahren wir seitenweise reichlich über die Hobbies und Vorlieben, über die Interessen und Wünsche der porträtierten Kinder und ihrer Familien. Wir nehmen Anteil an ihrer Lebensweise, an dem was sie verbindet und unterscheidet. Im Erleben dieser verknüpften Welten wird  eine „Normalität“ beschrieben, die zeigt wie bunt Vielfalt ist und, dass eine Gesellschaft gut tut, diese gemeinsam zu leben. Constanze von Kitzing gelingt diese Verbindung  von Individualität und Diversität absolut überzeugend und spannend, was auch daran liegt, dass sie ihrem Bilderbuch eine ungemeine Leichtigkeit und Menschlichkeit mitgibt. „Ich bin anders als du – Ich bin wie du“ ist ein Buch, das vielfältig zu genießen ist: im Selberlesen der Bilder genauso wie als bildstarke Lektüre für Erstleser. Beim gemeinsamen Lesen zeigt sich auch der Gewinn der Neuausgabe: die im ausführlichen Textteil eingefügten Bildwörter ermöglichen es, das Buch gemeinsam mit jüngeren Kindern zu lesen. Die eingefügten Bild-Icons sind in einer Wörterliste benannt. In dieser kann man nachschauen, falls die bildliche Darstellung des Wortes unterschiedlich gelesen oder nicht unmittelbar deutbar erscheint. Im Vorsatz und Nachsatz des Buches sind die Namen und Abbildungen von Tieren zu finden, die auf der Weltkarte abgebildet sind, die in Lucas Zimmer hängt. Auf der entscheidenden Doppelseite des Buches liegen Alva und Wahab auf einer grünen Wiese, sie erzählen über die Länder, aus denen sie kommen, dass sie Deutsch als Zweitsprache lernen und zeigen mit ihren Aussagen „Ich bin ich“ das Wenden in der Buchmitte an. So ist dieses Buch ein Kunstwerk mit vielen positiven Rollenvorbildern, das schon beim Anschauen viel Freude bringt und Gedanken und Gespräche zu Individualität und Inklusion anregt. Ein Buch, dem man wünscht, dass es nicht nur in der Kita-Bibliothek sondern in jeder  Kita-Gruppe sein zu Hause findet und somit zum Lebensbegleiter vieler Kinder wird. Beide hätten es verdient!

Bilderbücher sind ideal wenn es darum geht, Kindern vielfältige Zugänge zum  Themenkomplex Inklusion und Diversität zu ermöglichen. Denn ein Pers­pektivenwechsel beim Kennenlernen vielfältiger Lebensformen und -erfahrungen kann ein erster Schritt zur Empathie sein und trägt so zu einer ersten Bewusstseinsbildung für ethische Werte und Menschenrechte bei. Davon profitieren Kinder und Erwachsene: zum Beispiel durch weniger Barrieren in den Köpfen, mehr Offenheit, Toleranz und ein besseres Miteinander.

Spielerische Anschlusskommunikation zur Arbeit mit dem Bilderbuch „Ich bin anders als du – Ich bin wie du“

Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Constanze von Kitzing: Ich bin anders als du – Ich bin wie du. Das große Bilderbuch zum Vor- und Mitlesen. Hamburg: Carlsen, 96 Seiten| € 16,00 | Für Kinder ab 4

Trudi, die Kuh: groß und mächtig und ziemlich prächtig… Schön dunkelbraun-weiß kuhgefleckt, mit einer kleinen Glocke um den Hals, lebt sie auf der grünen Wiese.  So weit wäre alles gut, aber Trudi leidet unter Ängsten, ohne dass es jemand weiß.

Gewittert es, flüchten sich Hase und Schwein verängstigt unter ihrem großen Bauch, und schwärmen von ihrer Größe: „Ach es muss gut sein, wenn man so groß und stark ist!“. Und auch das ängstliche Schäfchen findet das beneidenswert. Beim gemeinsamen Spiel zeigt sich Trudi von ihrer sozialen Seite und schlägt den angsthasigen Freunden vor, sich zu zweit zu verstecken, sodass gleich gar keines der jüngeren Tiere Angst bekommen kann. Klar, dass alle sich mit der großen starken Trudi hinter mannshohen dunklen Heuhaufen verstecken möchten. Auf dem Weg zum Bach mahnt Trudi alle, eng bei Ihr zu bleiben, zumal der Weg durch den wirklich dunklen Finsterwald führt und dort eben die wilden Tiere rumlungern, die jedem auflauern. Aber auch im Dunkeln glänzt Trudi mit ihren Strategien gegen Ängste. Einfach ein Lied singen, schlägt sie vor, dann ist der Wald gleich weniger unheimlich. So langsam kommt ein leiser Verdacht auf! Aber am Bach wartet gleich die nächste Herausforderung: ein Igelkind kommt nicht über den Bach, der sich durch Regenfälle in einen reißenden Fluss verwandelt hat. Kaninchen weiß die Lösung: Trudi soll sich, mit Vorder- und Hinterfüßen am linken und rechten Ufer stehend, ganz laaang strecken, dann wird ihr Kuhrücken zur Brücke für das Igelkind. Gesagt, getan! Und mutig trippelt das kleine Stacheltier über die Kuhrücken-Brücke zu seiner Familie. Plötzlich aber fehlt die Kuh. Ihre Freunde finden sie zitternd im Gras liegen. Japsend gesteht sie, dass das nun wirklich zu viel war für sie: das Gewitter, das dunkle Versteck, der Finsterwald und jetzt noch dieser Spagat über den Bach. Wo sie doch vor allem und jedem Angst hat, sogar vor den Fliegen auf ihrer Nase. Alle sind erstaunt und überrascht, dass jemand, der sich immer dafür sorgt, dass sich keiner fürchtet,  in Wirklichkeit ein absoluter Angsthase ist! Die Ziege will wissen, warum Trudi das nie gesagt hat. Das Schäfchen verspricht, dass sich bei der nächsten Angst alle für Trudi stark machen werden und das Kaninchen weiß eine allerbeste Übung gegen Angst und für Selbstvertrauen… In Geschichten dem Thema Angst zu begegnen, macht Kindern Spaß, weil dies die Gewissheit bietet, geprüft und gestärkt in den Alltag zurückzukehren. Die große Angst der mächtigen Kuh hat Henrike Wilson trefflich und sehr sympathisch ins Bild gesetzt. Mögliche Ängste in einer so unterhaltsamen und bildstarken Geschichte herauszufordern bleibt überschaubar, da die Herausforderung an eine bestimmte Situation gebunden ist, die es zu durchleben und  zu durchstehen gilt. Das Prickeln, es könnte schief gehen,  ist verbunden mit der unverbrüchlichen Gewissheit, dass es schon nicht schief gehen wird. Und die Geschichte von Trudi hält dieses Prinzip ein, in dem Trudis Freunde durch ihre Strategie zum Selbstvertrauen und ihr Versprechen, für Trudis Ängste da zu sein, für ein glückliches Ende sorgen.

Bilderbücher sind ideal wenn es darum geht, Kindern vielfältige Zugänge zum  Themenkomplex Inklusion und Diversität zu ermöglichen. Denn ein Pers­pektivenwechsel beim Kennenlernen vielfältiger Lebensformen und -erfahrungen kann ein erster Schritt zur Empathie sein und trägt so zu einer ersten Bewusstseinsbildung für ethische Werte und Menschenrechte bei. Davon profitieren Kinder und Erwachsene: zum Beispiel durch weniger Barrieren in den Köpfen, mehr Offenheit, Toleranz und ein besseres Miteinander.

Spielerische Anschlusskommunikation zur Arbeit mit dem Bilderbuch „Trudi traut sich“

Freiburg. Diplom-Medienpädagogin. Dozentin in der Aus-und Fortbildung von Grundschullehrenden, Pädagogischen Fachkräften und Bibliothekaren. Lehrtätigkeit in den Bereichen sprachliche Bildung, Literacy, Kinder- und Jugendliteratur,  Lyrik und Medienpädagogik.

Katja Reider/ Henrike Wilson: Trudi traut sich! Münster: Coppenrath, 2022,  Seiten| € 25,00 | Für Kinder ab 3

  Hier finden Sie Medientipps der vergangenen Monate 

Daniela Bischler Trägerübergreifende Fachberaterin Sprachliche Bildung Amt für Kinder, Jugend und Familie Abteilung 4 Europaplatz 1 79098 Freiburg Tel. 0761 / 201 - 8431 Fax 0761 / 201 - 8309 daniela.bischler@stadt.freiburg.de

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